19. Februar 2021  |  
Dr. Stefan Baron

20 Jahre TV Quali – Ein Grund zum Feiern

Ein Blick zurück

“Die Zukunft beginnt mit Qualifizieren”, so lautet der Leitspruch der AgenturQ. Was die Zukunft bringen sollte, dass konnten damals die Tarifpartner bei Ihrer Unterschrift unter den Tarifvertrag höchstens erahnen.

Blicken wir zurück: Von Industrie 4.0 war noch lange nicht die Rede, der Anteil der Internetnutzer lag bei 37 Prozent und ins ‘World Wide Web’ gelangte man über ein 56 k Modem. Das Iphone war noch nicht erfunden und Nokia war Weltmarktführer bei Mobiltelefonen – wohlgemerkt nicht bei Smartphones. Die gab es damals noch nicht. Kaum jemand konnte damals erahnen, dass wir zwanzig Jahre später mittels Zoom und Co. miteinander kommunizieren, die Nutzung von KI-Anwendungen immer mehr zur Normalität wird, Elektroantriebe zunehmend Verbrennungsmotoren zurückdrängen und kollaborative Roboter aus ihren Käfigen befreit werden. Gleichwohl wurde im Jahr 2001 Wolfgang Wahlster vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken der Deutsche Innovationspreis für die Entwicklung eines sprachverstehenden Computers als Dialog- und Übersetzungsassistenten verliehen. Wer weiß, welche Erfindung aus dem Jahr 2021 unser Leben im Jahr 2041 verändern wird.

Der TV Quali als Kind der Zeit

Der TV Quali ist ein Kind seiner Zeit. Bereits 1998 hat der britische Soziologe Anthony Giddens, der mit seinem Buch “Der dritte Weg. Die Erneuerung der sozialen Demokratie” Pate für die inhaltliche Ausrichtung der mehrheitlich sozialdemokratisch regierten Ländern in Westeuropa stand, den Regierungen die Hausaufgabe mit auf den Weg gegeben, lebenslanges Lernen zu unterstützen, “indem sie Bildungseinrichtungen aufbauen, die den Menschen von den ersten Jahren bis ins Alter begleiten. […] Die Strategie hierbei sollte nicht die an keine Bedingungen geknüpften Zuwendungen sein, sondern Anreize zum Sparen, der Nutzung der Bildungsinstitutionen und anderer Möglichkeiten persönlicher Kompetenzerweiterung” (Giddens 1999, 145f). Hierzu passt, dass im Frühjahr 2000 die Staats- und Regierungschefs die Lissabon-Strategie unterzeichneten und hierin dem lebenslangen Lernen als Grundbestandteil des europäischen Gesellschaftsmodells eine höhere Priorität eingeräumt haben. Unter anderem sollten Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern über Innovation und lebenslanges Lernen gefördert werden. Und im Sommer 2000 bekundeten die Sozialpartner im Rahmen des Spitzengesprächs des Bündnisses für Beschäftigung, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit der rot-grünen Bundesregierung die Absicht, in Tarifverträgen Rahmenbedingungen für das lebensbegleitende Lernen zu vereinbaren. Der IG Metall Bezirk Baden-Württemberg und Südwestmetall haben als Sozialpartner eine Vorreiterrolle eingenommen und schließlich im Jahr 2001 den ersten Qualifizierungstarifvertrag geschlossen.

Die Politik erkennt das Thema Qualifizierung

Zwanzig Jahre später, so scheint es, hat die Politik das Thema Berufliche Weiterbildung für sich wiederentdeckt. So haben verschiedene Bundesministerien, die Sozialpartner und die Bundesländer bereits im Jahr 2019 die Nationale Weiterbildungsstrategie beschlossen, in diesem Jahr soll ein Bericht vorgelegt werden. Im vergangenen Jahr hat zudem der Europäische Rat in seinen Schlussfolgerungen “Reskilling and upskilling as a basis for increasing sustainability and employability, in the context of supporting economic recovery and social cohesion” die EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert,  als Reaktion auf den technologischen und ökologischen Wandel die Politik des lebenslangen Lernens zu fördern und Maßnahmen zu starten, um Beschäftigte weiter zu qualifizieren oder neu zu qualifizieren, ihre persönlichen und beruflichen Kompetenzen auszubauen und ihre Beschäftigungsfähigkeit und Produktivität zu stärken. Und jüngst hat die Landesregierung Baden-Württemberg die ressortübergreifende Weiterbildungsoffensive WEITER.mit.BILDUNG@BW beschlossen, die wichtige Ansätze zur Stärkung der betrieblichen Weiterbildung beinhaltet. 

Weiterbildung in der Transformation

Es macht fast den Eindruck, als ob die Politik das Thema Weiterbildung vor allem in Zeiten des Umbruchs, in Zeiten der Transformation für sich entdeckt. Wenn wir uns an das Jahr 2001 zurückerinnern, werden wir feststellen, dass früher nicht alles besser war. Zwei Jahre zuvor hatte die Wochenzeitschrift “The Economist” Deutschland als kranken Mann Europas bezeichnet. Mit einem BIP-Wachstum von nur 0,6 Prozentpunkten lag Deutschland im Jahr 2001 deutlich unter dem EU-Durchschnitt und mit 7,4 Prozent war die Arbeitslosenquote die zweithöchste in Westeuropa (OECD Beschäftigungsausblick 2002). Die im Jahr 2002 vorgestellten Empfehlungen der „Reformkommission moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (Hartz-Kommission) waren die Folge. Sie mündeten später in den sogenannten Hartz-Gesetzen wobei die Regelungen im Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (“Hartz 1”) im Schatten der Hartz 4-Gesetzgebung nur von Fachleuten Beachtung fanden. Dieses schloss eine Neuausrichtung der Förderung beruflicher Weiterbildung (FbW) durch die Arbeitsverwaltung mit ein.

Auch im Jahr 2021 befindet sich die Wirtschaft im Abschwung, wenngleich die beiden Jahre nicht wirklich miteinander verglichen werden können. Die Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg steckt mitten im Transformationsprozess. Nicht nur die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung treibt die Unternehmen um. Hinzu kommen die Herausforderungen des Strukturwandels vor allem in der Automobil- und Zulieferindustrie und die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. So sagen Forscherinnen und Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für die Zukunft einen starken Rückgang an Erwerbstätigen im Bereich Produzierendes Gewerbe voraus. Besonders betroffen sind die Sparten Metallerzeugung und -bearbeitung, Herstellung von Metallerzeugnissen sowie der Fahrzeug- und Maschinenbau. Zusätzlich unterliegen viele Tätigkeiten einem Substitutionspotential, d. h. sie könnten in Zukunft auch durch Computer oder computergestützte Maschinen ausgeführt werden. Mit einem Substitutionspotential von 83 beziehungsweise 70 Prozent sind insbesondere Fertigungs- und fertigungstechnische Berufe betroffen. Die positiven Nachrichten sind: Es müssen nicht alle Tätigkeiten entfallen, die ein hohes Substitutionspotenzial aufweisen. Die Berechnungen sagen nur etwas über die technische Machbarkeit aus. Zudem entstehen auch neue Tätigkeiten, die auch zukünftig von Beschäftigten durchgeführt werden müssen. Klar ist aber, dass es in den nächsten Jahren starke Veränderungen in der Berufsstruktur geben wird.  Beschäftigte brauchen zunehmend Digitalkompetenzen wie IT-Anwenderkenntnisse und Kenntnisse in der Softwareprogrammierung, aber auch Schlüsselkompetenzen wie Kreativität, Problemlösungskompetenz oder Projektmanagement. Es gilt, diese Veränderungen durch berufliche Weiterbildung zu gestalten und durch den Aufbau neuer Kompetenzen die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeitenden zu erhalten.

Der TV Quali – Abschluss mit Weitblick

Entsprechend ist es gut, dass die Tarifpartner im Jahr 2001 den nötigen Weitblick besaßen und den ersten Qualifizierungstarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie abgeschlossen haben, der für den gesamten Tarifbezirk Gültigkeit besitzt. Damit haben sie gezeigt, dass sie dem Thema Weiterbildung einen großen Stellenwert einräumen und es nicht immer staatlicher Regelungen bedarf. Der Tarifvertrag zur Qualifizierung für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie bietet den passenden Regelungsrahmen für die Gestaltung betrieblicher Weiterbildung. Mit Blick in die Zukunft stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die Inhalte und Instrumente angesichts zukünftiger Herausforderungen angepasst und neue Themen oder Zielgruppen definiert werden müssen. Diesen Fragen wird sich ein gesonderter Blogbeitrag annehmen.