11. Juli 2022  |  
Sophie Jachalke

Betriebsrat und Weiterbildung – Vorbild und Treiber von und für Weiterbildung?

Wir waren im Gespräch mit zwei Betriebsräten und haben gefragt, welche Rolle der Betriebsrat beim Thema Weiterbildung und Qualifizierung von Mitarbeitenden im Unternehmen einnimmt. Hierzu haben wir Andreas Salzgeber, Betriebsratsmitglied bei Kolbenschmidt Neckarsulm, und Jürgen Müller, Betriebsratsmitglied bei Liebherr Mischtechnik, beide 51 Jahre alt, befragt. Andreas Salzgeber ist seit 35 Jahren bei Kolbenschmidt beschäftigt, unter anderem als Elektriker und Instandhalter. Als Betriebsratsmitglied hat er die Aufgabe des Schwerbehindertenvertreters übernommen und ist seit der Betriebsratswahl in diesem Jahr Vorsitzender des Gremiums. Jürgen Müller machte bereits seine Ausbildung als Energie-Analagenelektriker bei Liebherr Mischtechnik in Bad Schussenried und ist seit 2006 im Betriebsrat aktiv. Vorsitzender des Betriebsrates ist er seit dem Jahr 2015. Gewisse Parallelen zwischen den beiden Betriebsräten sind erkennbar. So auch in der Betriebsratsarbeit zum Thema Weiterbildung?

Die Arbeit des Betriebsrats steht vor Veränderungen

Die Arbeit des Betriebsrats ist stark geprägt durch Veränderungen, beispielsweise von Gesetzen, Tarifverträgen und vielem mehr. Doch es ist nicht nur die Veränderung an sich, sondern auch die Komplexität, die zugenommen hat.

Werfen wir einen Blick zurück: Früher, so Jürgen Müller, gab es den einen „allwissenden“ Betriebsratsvorsitzenden, der nach außen sichtbar war und die Betriebsratsarbeit allein gesteuert hat. Das hat sich, zum Glück, geändert. Parallelen zur Arbeitswelt werden sichtbar: eine Person allein kann nicht mehr alles überblicken, auch zur Lösung von Aufgaben wird zunehmend mehr als nur eine Person benötigt. Dies kann auf die Betriebsratsebene übertragen werden. Ein ständiges Lernen bleibt daher unerlässlich: „Die Weiterbildung auf Betriebsratsebene hat deutlich zugenommen“, so Jürgen Müller, was die Notwendigkeit nach Weiterbildung im Betriebsrat verdeutlicht. Aber nicht nur das, auch die Einbindung aller Betriebsratsmitglieder ist enorm wichtig. Andreas Salzgeber erweitert dies sogar auf die gesamte Belegschaft, die mitgenommen werden sollte.

Die größte Herausforderung hinsichtlich der Weiterbildung in Unternehmen ist vermutlich die Transformation, die in aller Munde ist. Neben Digitalisierungsthemen sowie unternehmensinternen Aspekten spielen auch politische Entscheidungen eine große Rolle. Die Herausforderungen wiederum können als Ausgangspunkt für die Qualifizierung der Beschäftigten genutzt werden. Durch Veränderungen werden Qualifizierungen verschiedenster Art notwendig, folglich wird der Weiterbildung ein hoher Stellenwert beigemessen. Jürgen Müller betont, dass sich die Bedeutungszuschreibung in Sachen Weiterbildung in den unterschiedlichen Bereichen eines Unternehmens häufig nach dem Ermessen der Führungskraft richtet. Bei der Liebherr Mischtechnik in Bad Schussenried wurde eine Personalentwicklungsgruppe implementiert, an der sich der Betriebsrat beteiligt. Mit der Bearbeitung von Themen steht die Gruppe noch ganz am Anfang. Jürgen Müller betont, dass der Betriebsrat hier noch viel stärker als Treiber agieren müsse, um wichtige Themen voranzutreiben.

Rolle des Betriebsrats in Sachen Weiterbildung

Das Engagement des Betriebsrats in Bezug auf die Qualifizierung der Beschäftigten ist wichtig, unter anderem für die Betriebsöffentlichkeit. Der Betriebsrat, so Jürgen Müller, habe beim Thema Weiterbildung keine Mitbestimmungsrechte, sondern Beratungsrechte und diese sollte der Betriebsrat bestmöglich nutzen. Themen wie Fachkräftemangel, Arbeitsplatzsicherheit, aber auch die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit müssen erkannt und angegangen werden. Das bedeutet, dass sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberseite von der Qualifizierung der eigenen Mitarbeitenden profitieren; eine Win-Win-Situation.

Die sich verändernden Strukturen und Prozesse erfordern neue Kompetenzen. Da stellt sich die Frage: Wie können diese Kompetenzlücken gefüllt werden? Häufig richtet sich der Blick zu schnell auf den externen Arbeitsmarkt. Um die Beschäftigungsfähigkeit der eigenen Belegschaft zu sichern lohnt sich der Blick nach innen. Jürgen Müller betont, dass für den Betriebsrat vor allem der interne Arbeitsmarkt wichtig sei, um die eigenen Mitarbeitenden unter Einbezug informeller Kompetenzen weiter zu qualifizieren und somit die Beschäftigung zu sichern. Weiterhin sagt Jürgen Müller, dass es bei dem Thema Qualifizierung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nur wenig Konflikte gibt, was bei der Bedeutung des internen Arbeitsmarkts jedoch anders aussieht – hier gehen die Sichtweisen auseinander. Der Betriebsrat sieht die interne Weiterbildung von Mitarbeitenden als großes Potenzial. Deshalb ist es auch wichtig, die Mitarbeitenden up-to-Date zu halten und den Beschäftigten wichtige Informationen bereitzustellen.

Innerbetriebliche Instrumente sorgen für Weiterbildungsmotivation

In den Arbeitsalltag der Unternehmen werden bereits verschiedene Instrumente integriert, die zur Qualifizierung der Mitarbeitenden beitragen. Bei der Liebherr Mischtechnik in Bad Schussenried werden Weiterbildungsmentor*innen ausgebildet, die einen Austausch auf Augenhöhe mit den Mitarbeitenden anregen und dazu beitragen, den Weiterbildungswillen sowie die Motivation in der Belegschaft zu erhöhen. Bei Kolbenschmidt wird auf das Instrument der Lernbegleitung gesetzt, bei dem Lernbegleiter*innen Mitarbeitende, aber auch Auszubildende und Student*innen im Betrieb unterstützen. Mehr zum Thema Lernbegleitung finden Sie hier.

Neben diesen Instrumenten werden auch Betriebsvereinbarungen zur Qualifizierung unterschiedlich gehandhabt. In einigen Unternehmen ist diese ein wichtiger Bestandteil beruflicher Weiterbildung und bildet das Grundgerüst, auf das im Zweifelsfall als offizielles Dokument zurückgegriffen werden kann. In anderen Unternehmen wird auf eine entsprechende Betriebsvereinbarung verzichtet. Eindeutig ist in jedem Fall: die Wirkung einer Betriebsvereinbarung zur Qualifizierung hängt von der gelebten Kultur im Unternehmen ab.

Weiterbildung für den Betriebsrat

Sicher ist eins: auch der Betriebsrat bleibt von der eigenen Weiterbildung nicht unberührt. Andreas Salzgeber betont, dass es auch im Betriebsrat einen grundlegenden Qualifizierungsbedarf gibt, der gedeckt werden muss um die Betriebsratsarbeit kompetent fortzuführen. Jürgen Müller ergänz mit dem Hinweis, dass das Gelernte in die Praxis transferiert und dort umgesetzt werden muss.

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