Noch im alten Jahr sind im Handelsblatt zwei Beiträge erschienen, die Gesprächsstoff lieferten. So hieß es am 10. November in einem Beitrag mit dem Titel „Personaler unter Druck“: „Bei der Suche und Entwicklung von Fach- und Führungskräften stehen den HR-Verantwortlichen schier unüberwindbare Hürden im Weg.“ Der zweite Beitrag vom 29. Dezember trug den Titel „Eingespannt und ausgebrannt. Warum es heute so schwer ist, Führungskraft zu sein. Und wie man den Job dennoch meistern kann“. Unten im Organigramm tobt der Shitstorm – so lautet eine Zwischenüberschrift des interessanten Artikels.
Zwar sind die Hürden bei der Entwicklung von Fach- und Führungskräften aus meiner Sicht nicht unüberwindbar, aber es macht schon nachdenklich, wenn es laut der im ersten Beitrag publizierten Umfrageergebnisse in einem nicht kleinen Anteil von Unternehmen keine ganzheitliche Personalstrategie gibt, die alle notwendigen Handlungsfelder – unter anderem die Weiterbildung – abdeckt. Das Personalthemen als „weiche“ Themen gelten, ist nicht neu. Neu dagegen ist aber aus meiner Sicht die gestiegene Arbeitsbelastung von Personalern, die dazu führt, dass vorausschauende und strategische Themen hintenangestellt werden.
Und ganz klar: Direkte Führungskräfte befinden sich häufig in einer Sandwichposition. Sie müssen einerseits die Zielvorgaben des Managements umsetzen, ein offenes Ohr für die Mitarbeitenden haben und häufig auch noch Fachaufgaben erfüllen. Laut Studien müssen sie bis zu 90 % ihrer Arbeitszeit hierfür aufwenden. Dann ist es logisch, dass die Führungskraft irgendwann nur noch die von ihr geforderten KPI erbringt, sich aber nicht um die qualitativen Führungsaufgaben kümmert bzw. kümmern kann. Wenn sie hierfür überhaupt die nötige Qualifizierung erhalten hat und den nötigen Rückhalt ihrer eigenen Vorgesetzten verspürt.
Führungskräfte sind der Dreh- und Angelpunkt der betrieblichen Weiterbildungspolitik
Warum schreibe ich das auf? Weil die Führungskräfte aus meiner Sicht der „Dreh- und Angelpunkt“ der betrieblichen Weiterbildungspolitik sind. Sie sind es, welche unter anderem die Qualifizierungsgespräche nach dem TV Quali führen sollen, die sich darüber Gedanken machen sollten, welchen notwendigen Qualifizierungsbedarf es in ihrem Arbeitsbereich gibt, die Beschäftigte für mehr Weiterbildung motivieren sollen und bei alldem den strategischen Weitblick haben sollten. Aber wie soll das funktionieren, wenn sie aufgrund anderer Aufgaben keine Zeit haben für eine strategische Qualifizierungsplanung, ihr Erfolg an Produktionskennziffern und nicht an qualifizierten Fachkräften gemessen wird und sie aufgrund unbesetzter Stellen kein Personal für längere Weiterbildungen freistellen können. Die Liste der Problemlagen ließe sich auch noch fortsetzen.
Für mich sind Führungskräfte fast noch wichtiger als finanzielle Förderungen wie zum Beispiel die Möglichkeiten des sogenannten Qualifizierungschancengesetzes. Das beste Förderangebot bringt nichts, wenn es vor Ort in den Unternehmen nicht umgesetzt wird. Bei alldem brauchen Führungskräfte auch die Unterstützung von den HR-Verantwortlichen. Sie sollten das Große und Ganze im Blick haben, eine strategische und vorausschauende Personalpolitik betreiben sowie die benötigten Weiterbildungsinstrumente bzw. -budgets zur Verfügung stellen.
Was kann man aber tun, wenn die Befunde des Handelsblatts in vielen Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie zutreffen und viele Personaler unter Druck stehen und Führungskräfte eingespannt und ausgebrannt sind? Wie können sie darin unterstützt werden, ihre Aufgaben in der beruflichen Weiterbildung wahrzunehmen? Was können die Unternehmen tun? Das sind die Fragen, die mir durch den Kopf gehen.
Was kann man tun? 1) Mitstreiter:innen finden
Einen Teil der Fragen hat Dr. Elke Frank im Interview für unseren letzten Newsletter beantwortet. Wenn ich als Personalerin oder Personaler nicht die nötige Unterstützung erhalte oder in wichtige strategische Entscheidungen nicht einbezogen werde, dann muss man sich aus ihrer Sicht darum bemühen, andere vom Wert der Weiterbildung zu überzeugen. Man muss zum Beispiel dem Vorstand (und auch den Führungskräften) erklären können, welchen Ressourcen- oder Geldwert Weiterbildung bringt. Nicht schaden tut es sicherlich zudem, den Schulterschluss mit Betriebsräten und Gewerkschaftsvertretern zu suchen, weil bei Themen wie Beschäftigungssicherung, Qualifizierung oder Reskilling die Ziele häufig recht ähnlich sind. So bleibt der Druck vermutlich weiter bestehen, aber er ist auf mehrere Schultern verteilt.
„Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“, das gilt wahrscheinlich für HR-Verantwortliche. Das Glück von Führungskräften kann man dagegen beeinflussen, in dem man die Rahmenbedingungen für ihre Führungsaufgaben verändert.
Was kann man tun? 2) Zeit einräumen
Das fängt beim Faktor Zeit an. Führung braucht Zeit und die ist häufig nicht vorhanden. Es ist ja zum Beispiel nicht nur mit dem Qualifizierungsgespräch an sich getan. Soll ein Mehrwert für das Unternehmen und die Beschäftigten entstehen, muss es vor- und nachbereitet werden. Häufig fehlt hierfür die nötige Zeit, was dazu führt, dass Gespräche über zukünftige Weiterbildungen eher kurz ausfallen. Mit der Konsequenz, dass zum Beispiel möglicherweise vorhandene informelle Kompetenzen und Entwicklungsmöglichkeiten nicht erkannt werden.
Welchen Unterschied würde es machen, wenn direkte Führungskräfte noch etwas mehr von ihren Fachaufgaben entlastet werden würden und mehr Zeit für ihre Führungsaufgaben erhalten? Wenn sie die Möglichkeit hätten, Qualifizierungsgespräche so zu führen, dass verborgene Potentiale von Mitarbeitenden erkannt werden würden, durch passgenaue Weiterbildungsangebote die Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung erhöht werden würde und Mitarbeiter rechtzeitig über benötigte Zukunftskompetenzen verfügen würden. Ich bin mir sicher, der Nutzen für das Unternehmen würde das Invest deutlich übersteigen. Man müsste das einmal exemplarisch ausrechnen.
Was kann man tun? 3) Weiterbildung als das bemessen, was es ist: Produktiv
Man kann Führungskräfte auch unterstützen, in dem man ihnen Lernbegleiter bzw. Weiterbildungsmentoren zur Seite stellt, die Beschäftigte bei ihrer Weiterbildung unterstützen und sie begleiten. Doch das hat alles seine Grenzen, wenn Weiterbildung als „unproduktive Zeit“ gilt, d.h. fehlende Mitarbeitende aufgrund von Weiterbildungsmaßnahmen nicht ausgeglichen werden und dadurch Produktionskennziffern nicht mehr erreicht werden. Dann bin ich als Führungskraft nämlich tatsächlich eingespannt – zwischen dem Druck, die geforderten Zahlen zu erbringen, und dem Wunsch nach Weiterbildung durch die Mitarbeitenden bzw. der Notwendigkeit. Ich bin gespannt auf das Ergebnis von Überlegungen, hier Regelungen mittels Betriebsvereinbarungen zu erzielen.
Was kann man tun? 4) Führungskräfte qualifizieren
Und schließlich müssen Führungskräfte für ihre Aufgabe in der beruflichen Weiterbildung qualifiziert werden. Sie müssen sich ihrer Verantwortung für die kontinuierliche Weiterbildung der Beschäftigten in ihrem Verantwortungsbereich bewusst sein und die notwendigen Anpassungsnotwendigkeiten aufgrund der Veränderung durch die Transformation der Arbeitswelt im Blick behalten. Doch Führungskraft ist kein Ausbildungsberuf, im besten Fall wächst man in die Rolle hinein. Im Idealfall gibt es im Unternehmen ein Führungskräftenachwuchsprogramm, durch das potentielle Führungskräfte auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet werden. Aber neben zum Beispiel überfachlichen Kompetenzen wie Konfliktschlichtung oder fachlichen Kompetenzen im Bereich Arbeitsrecht ist es aus meiner Sicht dringend erforderlich, dass zukünftigen Führungskräfte auch Fähigkeiten im Themenfeld Weiterbildung bzw. Personalentwicklung vermittelt werden. Es gibt bei einzelnen Weiterbildungsträgern Angebote wie zum Beispiel „Betriebliche Bildung planen, umsetzen und kontrollieren“ oder „Neue Lerntechnologien Kompakt“, um nur zwei Themen zu nennen. Ich denke, dass es mehr solcher Angebote bedarf und dann natürlich auch die entsprechende Nachfrage bestehen muss. Wenn zukünftige oder aktuelle Führungskräfte solche Angebote annehmen, sind sie vielleicht immer noch eingespannt. Aber hoffentlich nicht mehr ausgebrannt.
Welche Rahmenbedingungen müssen noch geändert werden?
Was denken Sie, was muss sich an den Rahmenbedingungen für Führungskräfte noch ändern, damit sie ihren Aufgaben und ihrer Rolle in der betrieblichen Weiterbildung besser gerecht werden können? Ich bin gespannt auf Ihre Kommentare. Auf alle Fälle wird die AgenturQ das Thema im ersten Halbjahr aufgreifen und in einer Webinarreihe aufzeigen, wie Führungskräfte und HR-Verantwortliche die betriebliche Weiterbildung im Optimalfall gestalten. Freuen Sie sich auf spannende Impulsgeber und Informationen zu den entsprechenden Angeboten der AgenturQ. Stay tuned!