10. August 2021  |  
Gastbeitrag

Erfolgreiche KI-Anwendung ohne Qualifizierung? Nicht vorstellbar!

Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt

Künstliche Intelligenz (KI) ist gegenwärtig in aller Munde. Daher erscheint es mir nicht überraschend, dass einige nationale und internationale Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft die KI bereits als die richtungsweisende Universaltechnologie des 21. Jahrhunderts einstufen. Bisherige Universaltechnologien, wie zum Beispiel die Dampfmaschine oder der Verbrennungsmotor, schöpfen ungeahntes Potenzial für Wirtschaft und Kultur aus und prägen somit massiv unsere Gesellschaft. Bei der Umsetzung von KI-Techniken stecken wir gegenwärtig noch in den Kinderschuhen, dennoch spüren wir schon jetzt die alltägliche Schlagkraft und Dynamik der KI-Innovationen (vgl. Stowasser 2018).

KI bietet nicht nur allerhand Chancen für innovative Geschäftsmodelle von Unternehmen und Institutionen. Die Arbeitswelt in den Unternehmen erfährt ebenfalls umwälzende Veränderungen. KI-Instrumente oder lernende (Arbeits-)Systeme entwickeln die Arbeitswelt 4.0 zur Arbeitswelt 5.0. Steht die Arbeitswelt 4.0 im Fokus der vernetzten Digitalisierung und der Flexibilisierung von Arbeitsort, -zeit, -organisation sowie Handlungsfreiheit, so wird die Arbeitswelt 5.0 mit intelligenter Assistenz, lernenden Robotern und benutzeroptimierter Informationsbereitstellung bereichert. Damit haben KI-Technologien und lernende Systeme das Potenzial, im Bereich der Informations- und Wissensarbeit die Flut an arbeitsrelevanten Informationen zu reduzieren bzw. zu kanalisieren. Lernende Robotersysteme und KI-basierte Automatisierungslösungen übernehmen im Bereich der Produktionsarbeit stark beanspruchende physische Tätigkeitsanteile. Beschäftigte in einer von KI geprägten Arbeitswelt werden tendenziell verminderte Belastungen erfahren. Dies wirkt sich im besten Fall positiv auf die Gefährdungsanalysen für die Belastungswirkungen der Beschäftigten aus.

Für die Beschäftigten bedeutet der Einsatz von KI noch mehr Flexibilität, anspruchsvollere Tätigkeiten, individuell angepasste Informationen sowie Erleichterung bei monotonen geistigen Routinetätigkeiten. Trotz all des Optimismus erfahren wir bei Befragungen und in betrieblichen Umsetzungsprojekten drei Grundängste der Beschäftigten (und auch der Führungskräfte) gegenüber modernen KI-Technologien:

  • Was passiert mit meinem Job? Werde ich durch die KI verdrängt?
  • Was geschieht mit meinen personenbezogenen Daten? Werden diese durch mein Unternehmen und die Vorgesetzten zur Leistungsbeurteilung missbraucht?
  • Und schließlich: Schaffe ich es überhaupt, mit der Digitalisierung Schritt zu halten? Bin ich kompetent genug, mit einer KI zu arbeiten?

Diese Ängste sind unbedingt ernst zu nehmen; den Beschäftigten muss Klarheit und Transparenz über den Einsatz der KI verschafft werden. Wenig hilfreich ist hierbei ein aktionistischer Einsatz von KI-Technologien, ein unstrukturiertes Überstülpen neuer Instrumente und die mangelnde Berücksichtigung der betroffenen Menschen.

Erfolgreiche Einführung von KI im Unternehmen

Als Erfolgsfaktor bei der Einführung von KI kristallisiert sich ein mitarbeiterorientierter, partizipativer Einführungsprozess heraus, der eine intensive Change-Beteiligung der Beschäftigten sowie der Sozialpartner umfasst und abzielt auf

  • das Aufzeigen der Vorteile und des Nutzens von KI,
  • die Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs und Umsetzung dessen,
  • die Mitgestaltung der neuen Arbeitssysteme.

Das Whitepaper „Einführung von KI-Systemen in Unternehmen. Gestaltungsansätze für das Change-Management“ der Arbeitsgruppe 2 „Arbeit/Qualifizierung, Mensch-Maschine-Interaktion“ der Plattform Lernende Systeme zeichnet für einen derartigen Change-Prozess ein konkretes Phasenmodell auf, um KI-Technologien erfolgreich in den Unternehmen einzuführen und die Potenziale von KI für alle Beteiligten bestmöglich abzurufen (vgl. Bild 1). Zur Vertiefung der einzelnen Phasen verweise ich auf Stowasser, Suchy et al. (2020).




Bild 1: Phasen des Change-Managements bei KI (Stowasser, Suchy et al. 2020)

Qualifizierung als unabdingbarer Erfolgsfaktor bei der KI-Einführung

Besonderes Augenmerk möchte ich der dritten Phase („Vorbereitung und Implementierung“) schenken. KI-Systeme müssen passgenau in bestehende oder neue Arbeitsprozesse und Organisationsstrukturen integriert werden. Dies bedeutet, die Beschäftigten frühzeitig auf neue Aufgaben vorzubereiten und erforderliche Qualifizierungsmaßnahmen einzuleiten. Wichtig ist dabei auch die Gestaltung neuer Aufgaben- und Tätigkeitsprofile für die Beschäftigten sowie die Anpassung der Arbeitsorganisation an die neuen Gegebenheiten. Ein hilfreiches Instrument bei der Einführung von KI-Systemen sind Experimentierphasen und Pilotprojekte, in denen Erfahrungswerte vor einem flächendeckenden Roll-out gesammelt und Anpassungsbedarf im Hinblick auf die KI-Systeme, die Qualifizierungsanforderungen oder die Arbeitsorganisation ermittelt werden können (Stowasser & Suchy et al. 2020).

Unabdingbarer Erfolgsfaktor bei der Einführung von KI ist demnach die Weiterbildung und Qualifizierung der Beschäftigten. Denn es gilt: Gegen die drei oben genannten Befürchtungen der Beschäftigten – Angst vor Jobverlust, Datenmissbrauch und Inkompetenz – hilft Wissen, Qualifizierung und Kompetenzaufbau. Die Menschen müssen KI kennen (und schätzen) lernen, sie müssen das verstehen, was bei KI-Systemen nicht immer direkt erkennbar ist. Doch welche Anforderungen, welche Kompetenzen und welche Qualifizierung ist hierfür notwendig?

Aktuell arbeitet das Forschungsprojekt en[AI]ble an der Beantwortung dieser Frage[1]. Die en[AI]ble-Projektpartnerinnen und -partner haben zur Ermittlung der Bedarfe und Anforderungen an eine KI-Qualifizierung zahlreiche Interviews mit Unternehmern, Führungskräften, Betriebsräten sowie Fachleuten der Sozialpartner und der Verbände, Kammern und Sozialversicherungen geführt. Als erforderlich wird die Kompetenzentwicklung bei Führungskräften und Beschäftigten gesehen, sowohl was die Beherrschung der neuen KI-Technologien als auch den sicheren Umgang mit Daten betrifft (vgl. ifaa 2021). Die Befragten sind sich einig, dass es zu keiner Erosion des Fachwissens kommen wird. Fachkompetenzen werden weiterhin (verstärkt) benötigt, um die Daten auszuwerten und deren Plausibilität zu überprüfen, „Datenmüll“ aufzudecken sowie die von der KI erzeugten Ergebnisse interpretieren zu können. Zentrale Kompetenz ist demnach der reflexive Umgang mit KI-Systemen. Wenn die Beschäftigten nicht wissen, was geplant ist und was die autonomen KI-Systeme wie machen und auf welche Weise sie lernen, kann das die Akzeptanz der Beschäftigten diesen Systemen gegenüber schmälern und zu Produktivitäts- und Leistungseinbußen führen (vgl. auch Offensive Mittelstand 2019, S. 123f.). Fachkompetenz, insbesondere auf Facharbeiterebene, ist eine wesentliche Ressource und ein entscheidender Schlüsselfaktor für zukünftiges Wachstum.

Bild 2 fasst weitere Kompetenzanforderungen an Beschäftigte für den Einsatz mit KI-Systemen zusammen. Erkennbar sind relevante Kompetenz- und Qualifizierungserfordernisse in den vier Kompetenzfeldern. Im Umgang mit KI werden Selbst- und Sozialkompetenzen wie eine offene und neugierige Grundhaltung gegenüber neuen Technologien („Digital Mindset“), Veränderungsbereitschaft, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit in stärker von IT gesteuerten Teams, Eigenverantwortung beim Lösen von Problemen oder Bereitschaft zum lebenslangen Lernen entscheidend.

Eine zentrale Botschaft sei an den Schluss gestellt: Die Qualifizierung aller Beschäftigter zu KI-Programmierenden wäre absurd. Die Beschäftigten sollten keine KI programmieren, sondern vielmehr intuitiv und kompetent mit ihr umgehen können.



Bild 2: Kompetenzanforderungen an Beschäftigte in KI-Umgebungen (eigene Darstellung in Anlehnung an Offensive Mittelstand 2019, S. 125)

[1] „Digital Mentor — Modell und Erprobung eines präventiv agierenden KI-Helfers (kurz en[AI]ble)“, Laufzeit des Projekts: September 2020 bis September 2023, Konsortialleitung: ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. Das Projekt wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) gefördert und durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) fachlich begleitet. Projektträger ist die Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung mbH (gsub). Fördernummer: EXP.01.00008.20.

Literatur:

ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. (Hrsg) (2021): KI Zusatzqualifizierung. Für eine produktive und menschengerechte Arbeitsgestaltung. Düsseldorf)(zugegriffen am 30.6.2021)

Offensive Mittelstand (2019) Umsetzungshilfen Arbeit 4.0. Heidelberg. (https://www.offensive-mittelstand.de/fileadmin/user_upload/pdf/uh40_2019/umsetzungshilfen_paperback_3103_web.pdf)(zugegriffen am 30.6.2021)

Stowasser S (2018) Die Künstliche Intelligenz verändert die Welt – Deutschland muss aufholen. Personalpraxis und Recht (11–12):221

Stowasser S, Suchy O et al. (2020) Whitepaper „Einführung von KI-Systemen in Unternehmen. Gestaltungsansätze für das Change-Management“ der Arbeitsgruppe 2 „Arbeit/Qualifizierung, Mensch-Maschine-Interaktion“ der Plattform Lernende Systeme (https://www.plattform-lernende-systeme.de/ag-2.html#BT101)(zugegriffen am 30.6.2021)

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr.-Ing. habil. Sascha Stowasser, ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V., Uerdinger Straße 56, 40474 Düsseldorf