1. Juli 2021  |  
Gastbeitrag

Gute Rahmenbedingungen für Weiterbildung statt Überregulierung und Bürokratisierung

Ein Plädoyer für Subsidiarität und Netzwerkarbeit

Ein Gastbeitrag von Peer-Michael Dick und Stefan Küpper

Staatliche Regulierung hat Hochkonjunktur – gerade und besonders auch in der Arbeits- und Wirtschaftswelt. Ob Mindestlohn, weltweite Lieferketten, befristete Arbeitsverhältnisse, Entgelttransparenz, Geschlechterparität oder Ausbildungsgarantie, alles wird dem staatlichen Dirigismus unterworfen. Die Rolle der Sozialpartner wird dabei zwar gerne hervorgehoben, de facto aber immer mehr zur einer Art Feigenblatt. Dies zeigt sich in einer ausufernden Flut von Beiräten, Arbeitskreisen und Allianzen, mit der Regulierungsprojekte ihre Legitimation erhalten sollen.

Vorläufig negativer Höhepunkt ist die Schaffung eines „Rats der Arbeitswelt“ auf Bundesebene, der gleich eine Reihe von Regulierungsvorschlägen präsentiert hat. Intensiv wurde dabei vor allem auch die Weiterbildung beleuchtet. So werden vermeintliche Qualitätsmängel bei den Weiterbildungsträgern ausgemacht und es wird ihnen nicht zugetraut, die qualifikatorischen Herausforderungen der Transformation professionell zu bearbeiten. Also folgt der schon notorische Schluss: Es braucht mehr Staat, mehr Regulierung und mehr Bürokratie.

Gerade im Bereich der Weiterbildung ist dieser Schluss so erstaunlich wie irritierend, finden sich hier doch etablierte und gut funktionierende, marktnahe Strukturen sowie eine langjährige Tradition eines sozialpartnerschaftlichen Miteinanders, zum ersten auf der betrieblichen Ebene, zum zweiten auf der Ebene der Tarifvertragsparteien, zum dritten auf der Ebene der von den jeweiligen Sozialpartnern getragenen Bildungswerke und zum vierten auf der Ebene der BA-Selbstverwaltung. Dass die öffentliche Hand hier nun regulierend eingreifen will, zeugt von einer gewissen Hybris, zumal die Qualitäts- und Digitalisierungsbilanz des Staates in anderen Bildungsbereichen – freundlich formuliert – ausbaufähig erscheint und kaum Referenzen für ein Handlungsmandat bietet.      

Die Sozialpartner Südwestmetall und IG Metall haben sich ihrerseits bereits vor zwanzig Jahren auf den gemeinsamen Weg begeben und den bundesweit ersten Tarifvertrag zur Qualifizierung für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie (TV Quali) inkl. einer gemeinsam getragenen Agentur zur Förderung der beruflichen Weiterbildung in der M+E-Industrie, kurz AgenturQ, unterzeichnet. Er wurde im Jahr 2015 durch eine Sozialpartnervereinbarung ergänzt und in seinen Formulierungen präzisiert. Die Gestaltung der betrieblichen Qualifizierung wird dabei als gemeinsame sozialpartnerschaftliche Aufgabe verstanden.

Eine Aufgabe, die nicht kleiner wird, denn die Fortentwicklung der Industrie wird immer komplexer, ungewisser und nimmt an Dynamik zu. Mit der Transformation der Wirtschaft verändern sich auch die Anforderungsprofile für betriebliche Tätigkeiten. Das löst einen Veränderungs- und Anpassungsbedarf im Kompetenzportfolio der Beschäftigten aus. Es wird erwartet, dass mehr als die Hälfte aller Beschäftigten bis 2025 eine Neu- und Weiterqualifizierung benötigen werden, jeder fünfte könnte auf eine zusätzliche Ausbildung oder Umschulung angewiesen sein. Der Weiterbildung kommt also eine Schlüsselrolle zu.

Betriebliche Weiterbildung muss dabei am Bedarf des Unternehmens ausgerichtet und mit der Investitions- und Organisationsplanung abgestimmt sein. Dies gilt es mit dem Weiterbildungsbedarf der einzelnen Beschäftigten und ihrem individuellen Qualifikationsniveau und ihren Interessen zu synchronisieren. Erfolgreiche Weiterbildung der M+E-Industrie baut deshalb auf eine vielfältige betriebliche Praxis mit passgenauen Lösungen. Nur im Kontext mit den betrieblichen Anforderungen kann die berufliche Handlungsfähigkeit der Fachkräfte gezielt gefördert und weiterentwickelt werden.

Dies soll aber keineswegs als Plädoyer missverstanden werden, die Weiterbildung alleine den Marktmechanismen zu überlassen. Vielmehr ist das ein Plädoyer für eine konsequente Orientierung am Subsidiaritätsprinzip, in der die Rollen der dezentralen und zentralen sowie der privaten und öffentlichen Akteure sauber definiert werden. Der Staat sollte seine Rolle nicht als Macher, aber sehr wohl als Partner der betrieblichen und beruflichen Weiterbildung und ihrer dezentralen Akteure begreifen. So sind die AgenturQ und die Sozialpartner eingebettet in ein leistungsfähiges Unterstützungsnetzwerk von Berufs- und Branchenverbänden, der Bundesagentur für Arbeit, Kammerorganisationen, Weiterbildungsträgern, dem Land Baden-Württemberg und auch dem Bundesgesetzgeber, der die berufliche Weiterbildung mit dem Qualifizierungschancengesetz und der Möglichkeit der Förderung von Weiterbildung während Kurzarbeit unterstützt.

Ohne in eine Regulierungsorgie zu verfallen, bieten sich vor allem die folgenden gemeinsamen Ansatzpunkte einer aktiven Weiterbildungspolitik für dieses Netzwerk an:

KMU unterstützen

Nicht alle kleinen und mittleren Unternehmen sehen sich in der Lage, die Herausforderungen alleine anzunehmen und zu bestehen, weil sie über keine entsprechenden Weiterbildungskonzepte oder eine strategische Personal- und Organisationsentwicklung verfügen. Dies betrifft sowohl die Anpassung der Prozesse in der Produktion, als auch die entsprechende Qualifizierung der Mitarbeitenden. Hier können Unterstützungen der Sozialpartner in Kombination mit öffentlich geförderten Coaching-Angeboten ansetzen.

Starke Partner und Unterstützer können aber auch Unternehmen untereinander sein, wie das Beispiel der durch das Land Baden-Württemberg und der Bundesagentur für Arbeit geförderten Qualifizierungsverbünde zeigt (https://www.biwe.de/qualifizierungsverbuende). Die Idee der Qualifizierungsverbünde ist es, KMU für die Notwendigkeit von Weiterbildung zu sensibilisieren und bei der Realisierung von gemeinsamen Weiterbildungsprojekten zu unterstützen. Voraussetzung für das Gelingen solcher Verbünde ist ein großes Netzwerk, das aufgebaut und gepflegt werden muss.

Innovationsprojekte ermöglichen

Gemeinsam mit den Sozialpartnern, Einrichtungen wie der AgenturQ und engagierten Unternehmenspartnern können in öffentlich geförderten, innovativen Projekten anwendungsorientierte Instrumente für die Gestaltung innerbetrieblicher Weiterbildung entwickelt werden. Gemeinsam kann so der Wandel der Qualifikationsanforderungen als Folge des Strukturwandels analysiert und neue Qualifizierungsansätze entwickelt werden. Viele positive Projektbeispiele aus Baden-Württemberg zur Qualifizierungsförderung von An- und Ungelernten, zur Digitalisierung der Weiterbildung, zur Qualifizierung in der Transformation oder zu den Future Skills zeugen von der Richtigkeit dieses Ansatzes.

Verlässlichen Förderrahmen bieten

Die Politik muss einen sinnvollen und verlässlichen Förderrahmen bieten, der Beschäftigten und Sozialpartnern Orientierung und Sicherheit bietet – ohne jedoch zu überregulieren. Die immer wieder vorgetragenen negativen Rückmeldungen zu sehr bürokratischen und wenig praxistauglichen Rahmenbedingungen der Weiterbildungsförderung sollten ernst genommen werden. Weiterbildung im Unternehmen und damit auch Förderkulissen sind kein Selbstzweck und sollte auch nicht dem Zufall überlassen werden. Weiterbildung muss vielmehr integraler Bestandteil einer strategischen Personal- und Organisationsentwicklung sein. Transformation und Weiterbildung müssen planbar sein und benötigen Zeit.

Teil eines verlässlichen Förderrahmens sollte auch die Sicherstellung einer Grundbildung als Grundpfeiler zukünftiger Beschäftigungsfähigkeit sein. Dazu gehört eine ausreichende Lese- und Schreibkompetenz, soziale und persönliche Kompetenzen, die Fähigkeit und Bereitschaft zum selbstständigen Lernen oder auch digitale Fitness. Um alle Mitarbeitenden für die Herausforderungen der Zukunft mittels Qualifizierung fit zu machen, benötigt es eine solide Basis – diese heißt Alphabetisierung und Grundbildung.

Kurzarbeit für Qualifizierung nutzen

Zahlreiche Industrieunternehmen haben aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie konjunkturelle Kurzarbeit anmelden müssen. Die Corona-Krise hat zugleich den Wandel bezogen auf Digitalisierung und Elektromobilität beschleunigt. Im Ergebnis lässt sich Beschäftigungsabbau aber nicht in jedem Fall vermeiden. Dann wird häufig auf das Instrument der Transfergesellschaft mit Transferkurzarbeitergeld zurückgegriffen. Beide Instrumente lassen sich mit Qualifizierung verknüpfen und die Möglichkeiten dazu wurden in jüngerer Vergangenheit vom Gesetzgeber erweitert. Nun ist es gemeinsame Aufgabe aller Beteiligten, bei den Unternehmen für mehr Weiterbildung während Kurzarbeit und den damit verbundenen Fördermöglichkeiten zu werben. Zugleich gilt es darauf zu dringen, dass die Nachfrage der Unternehmen nach bestimmten Inhalten und Formaten auch durch passende Weiterbildungsangebote entsprochen werden kann.

Rahmenbedingungen von Transfermaßnahmen anpassen

Der Stellenwert des Instrumentes Transfermaßnahmen wird in den kommenden Monaten und Jahren deutlich steigen. Dabei wird es vor dem Hintergrund notwendiger Struktur- und Kapazitätsanpassungen innerhalb einer gesamten Branche notwendig sein, den Horizont zu erweitern. Das bedeutet umfassendere und grundlegendere Weiterbildungsangebote der Beschäftigten im Transfer, einen branchenübergreifenden Ansatz der Fachkräftesicherung sowie ein Verständnis bei den Betroffenen, dass Transfer nicht nur als Absicherung vor Arbeitslosigkeit oder Brücke zum Ruhestand betrachtet, sondern vielmehr als Chance für einen beruflichen Neustart und fachliche Weiterentwicklung verstanden werden muss. 

In diesem Zusammenhang sollte auch die Idee von regionalen Qualifizierungs- und Beschäftigungsplattformen weiterverfolgt werden, die auf den oben beschriebenen Qualifizierungsverbünden aufsetzen könnten. Auf diesen Plattformen kann der Fachkräftebedarf regelmäßig im regionalen Kontext geklärt, personalabgebende und -suchende Betriebe zusammengebracht, Zielbilder für eine bedarfsgerechte Qualifizierung geschärft und die Entwicklung entsprechender Qualifizierungsangebote mit der Trägerlandschaft vorangebracht werden.

Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer von Südwestmetall und Stefan Küpper, Geschäftsführer Politik, Bildung und Arbeitsmarkt von Südwestmetall