13. Januar 2020  |  
Dr. Stefan Baron

Kein Silodenken: Berufliche Weiterbildung auch in anderen Politikfeldern mitdenken

Liebe Leserin, lieber Leser,

das ganze Team der AgenturQ wünscht Ihnen nachträglich ein frohes neues Jahr 2020. Es wird ein Jahr mit großen Herausforderungen für die berufliche Weiterbildung. Der Strukturwandel hin zu mehr Elektromobilität und die Digitalisierung verlangen nach passgenauen Weiterbildungsangeboten, um Fachkräfte für neue Aufgaben und veränderte Tätigkeiten zu qualifizieren. Vielleicht bietet die aktuelle konjunkturelle Krise das benötigte Zeitfenster, um verstärkt in berufliche Weiterbildung zu investieren. Die berufliche Weiterbildung wird mit Sicherheit auch Thema der diesjährigen Tarifverhandlungen sein.

Im letzten Newsletter haben wir bereits die Frage aufgeworfen, ob es alleine mit beruflicher Weiterbildung gelingen kann, Arbeitsplätze zu sichern und auf neue Tätigkeiten zu qualifizieren. Oder ob es hierfür nicht eine viel stärkere Vernetzung unterschiedlicher Politikfelder braucht? Dieser Frage möchten wir im aktuellen Blogbeitrag nachgehen.

Eines kann man bzw. muss man mit Sicherheit sagen: Die regelmäßige Teilnahme an beruflicher Weiterbildung senkt zwar das Risiko, arbeitslos zu werden. Aber gerade in der derzeitigen Transformation bleibt ein Restrisiko bestehen, wie es derzeit viele Beschäftigte z.B. in der Antriebsstrangtechnologie erfahren müssen. Wenn sich Technologien verändern und Arbeitsplätze wegbrechen, braucht es neben der Weiterbildungsberatung und -förderung auch andere Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik, um Menschen in Beschäftigung zu halten bzw. möglichst schnell wieder in Beschäftigung zu bringen.

Um die Arbeitsmarktpolitik soll es in diesem Blogbeitrag aber gar nicht gehen. Sondern vielmehr um Politikfelder, die im Zusammenhang mit dem Thema Berufliche Weiterbildung bislang nicht so sehr im Fokus standen: Die Infrastruktur- bzw. Regionalpolitik, die Wissenschaftspolitik, die Förderpolitik und auch die Familienpolitik. Die Liste ließe sich sicherlich noch fortsetzen.

Infrastruktur für Weiterbildung schaffen

So wie die Arbeitswelt immer digitaler wird, so wird auch die berufliche Weiterbildung immer digitaler. Blended Learning-Formate oder Lernen in virtuellen Welten haben den großen Vorteil, dass sie zumindest zum Teil ortsungebunden sind. Je komplexer die Lernanwendungen aber werden, desto mehr Datenverkehr produzieren sie auch. In ländlichen Gebieten (oder selbst in einigen Stadtteilen der Landeshauptstadt) kann es dann passieren, dass der Datenstrom nicht für die Lernpakete ausreicht. Und Weiterbildung mit Softwarelösungen, die ständig ruckeln, die Bildauflösung reduzieren oder sich sogar aufhängen, macht keinen Spaß. Eine gute Internetanbindung ist eine Grundvoraussetzung für gelingende digitale Weiterbildung.

Was für eine digitale Weiterbildung gilt, gilt erst recht für eine analoge Weiterbildung. Es gibt in Baden-Württemberg viele Weiterbildungsanbieter, dennoch gibt es auf der Landkarte weiße Flecken, wo es keine Einrichtung gibt, die non-formale Weiterbildungskurse anbieten. Wenn ich aber als Arbeitnehmer/in auf eigene Initiative eine Weiterbildung belegen möchte, will ich nicht nach Feierabend oder am Wochenende noch weit fahren müssen. Die räumliche Distanz kann ein Hinderungsgrund für eine ansonsten lohnenswerte Weiterbildung sein. Es sollte daher im ganzen Land Weiterbildungsstandorte geben, die in zumutbarer Entfernung (z.B. eine Stunde Fahrtzeit) vom Wohnort liegen. Dort, wo es keine Angebote der Wirtschaft gibt, könnten möglicherweise Berufliche Schulen diese Lücke füllen. Die Schulträger könnten nach Unterrichtsschluss die Räumlichkeiten den dualen Partnern der Schule für berufliche Weiterbildungen zur Verfügung stellen. Oder aber die Beruflichen Schulen entwickeln sich selbst zu regionalen Berufsbildungszentren weiter. Der Begriff Berufsbildung würde in diesem Fall die berufliche Aus- und Weiterbildung umfassen.

Hochschulen für berufliche Weiterbildung öffnen

Lange Zeit standen vor allem Fachkräfte, ältere Beschäftigte sowie Un- und Angelernte im Fokus der Bemühungen um eine höhere Weiterbildungsbeteiligung. Nun rücken auch Hochqualifizierte in den Fokus, die aufgrund des Strukturwandels neue Qualifikationen benötigen. Zu nennen sind Beispiel Ingenieure in der Dieselmotorenentwicklung. Für sie gibt bis dato so gut wie keine passenden Weiterbildungsangebote. Diese Lücke könnten vor allem die Hochschulen für angewandte Wissenschaften mit passenden berufsbegleitenden Aufbaustudiengängen und Kontaktstudiengängen füllen. Dies gilt freilich auch für die Universitäten im Land, auch wenn hier die Berührungsängste noch etwas größer sind. Es langt freilich nicht, Studiengänge so zu konzipieren, dass sie im Grundsatz in Teilzeit studierbar sind, oder einfach Inhalte der akademischen Erstausbildung übernommen werden. Es braucht einen anderen didaktischen Ansatz und vor allem die Möglichkeit, berufliches Vorwissen anzurechnen.

Auch für wissenschaftliche Weiterbildungen gilt, dass sie in zumutbarer Entfernung zum Wohnort angeboten werden sollten. Dies spricht für dezentrale Angebote an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften oder an den Standorten der DHBW und weniger für eine eigene Hochschule, wie sie vor kurzem vom IMU-Institut vorgeschlagen wurde. Aber dies wird sicherlich auch eine Frage sein, die am 17. März bei der Veranstaltung „Smart Factory braucht smartes Personal“ der Servicestelle HOCHSCHULEWIRTSCHAFT diskutiert wird.

Förderinstrumente weiterentwickeln

Trotz der weißen Flecken auf der Landkarte gibt es viele Weiterbildungsanbieter mit passenden Angeboten, auch die Hochschulen haben in den letzten Jahren neue Angebote entwickelt, wie zum Beispiel die Anrechnungsdatenbank. Dennoch fallen immer wieder Kurse mangels Teilnehmenden aus. Dies mag damit zusammenhängen, dass man in der Förderpolitik zwar die direkten Kosten der Weiterbildung im Blick hat und Qualifizierungen mittels EU-Fördermittel, den Instrumenten des Qualifizierungschancengesetzes, dem Aufstiegs-BaföG oder der Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit fördert. Nicht im Blick hat man hingegen die indirekten Kosten, die insbesondere dann zu Buche schlagen, wenn man während einer notwendigen Weiterbildung seine Arbeitszeit reduziert und damit auch der Arbeitslohn sinkt.  Die Lebenshaltungskosten müssen ja trotzdem getragen werden. Gerade in Familien kann dies dazu führen, dass die eigentlich benötigte Weiterbildung auf die lange Bank geschoben wird.

Diesem Problem könnte man möglicherweise durch Anpassungen bestehender Förderprogramme lösen, sofern die Fortbildung notwendig ist und über die Vermittlung von betriebsspezifischem und arbeitsplatzbezogenem Wissen hinausgeht. Denkbar wäre etwa eine Öffnung des Aufstiegs-BaföGs für Fortbildungen mit Hochschulabschluss sowie für Personen mit einem Master- oder vergleichbaren Hochschulabschluss. Die KfW-Bank vergibt zwar einen Studienkredit für ein zweites grundständiges Studium, aber nur bis zum Alter von 44 Jahren. Doch gerade die Generation X steht vor der Frage, ob sie sich beruflich noch einmal umorientieren muss. Ihnen bleibt der Kredit bislang verwehrt. Nachgedacht werden kann natürlich auch über weitere steuerliche Anreize oder gar ein Weiterbildungsguthaben, dass sich zum Beispiel an den Fördersätzen des Elterngeldes orientieren könnte. Natürlich sind solche Förderungen immer mit Ausgaben für den Steuerzahler verbunden, das Investment kann sich aber durchaus rentieren. Letztlich müssen aber natürlich auch die Beschäftigten selbst bereit sein, eine Investition in ihre Zukunft zu leisten.

Weiterbildung in der Familienphase stärken

Das Elterngeld ist ein gutes Stichwort, denn auch in der Familienpolitik müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass auch Eltern an beruflicher Weiterbildung teilnehmen können. Grundsätzlich zeigen die Statistiken, dass Frauen zu einem geringeren Anteil an betrieblicher Weiterbildung teilnehmen. In der Altersgruppe 35-45 Jahre ist der Unterschied zwischen Frauen und Männern mit acht Prozent im Vergleich zu den anderen Altersgruppen besonders groß. Dies kann natürlich verschiedene Gründe haben. Unbestritten ist aber sicherlich, dass eine verlässliche Kinderbetreuung eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass beide Elternteile am Arbeitsleben teilnehmen können. Weiterbildungsangebote sollten so gestaltet werden, dass sie sowohl mit dem Familien- wie auch mit dem Arbeitsleben in Einklang gebracht werden können. Aufpassen müssen übrigens werdende Eltern, die eine Fortbildung aus eigenem Interesse belegen, für die der Arbeitgeber die Kosten übernimmt. Die Übernahme gilt als steuerpflichtiger Lohn und kann sich entsprechend negativ auf die Höhe des Elterngeldes auswirken.

Weitere Baustellen warten

Es gilt also, das Thema Berufliche Weiterbildung auch in anderen politischen Themenfeldern mitzudenken. Dies betrifft auch zwei Themen, die bislang nicht in den Fokus der Diskussion um berufliche Weiterbildung gerückt sind: Die Integration von Geflüchteten und die Inklusion von behinderten Mitmenschen. Wenn wir die Integration und die Inklusion ernst nehmen, müssen wir uns alsbald darüber Gedanken machen, welche Aufgaben hierdurch auf die berufliche Weiterbildung zukommen und wie diese zukünftig gestaltet werden muss.