13. Juni 2022  |  
Dr. Stefan Baron

Neues wagen? Neues wagen

Ein Gastbeitrag von Sylvia Stieler, IMU Institut

Betriebsrätinnen und Betriebsräte haben meinen großen Respekt! Sie lassen sich auf neue Themen und neue Herausforderungen ein, besuchen Seminare zum Wirtschaftsausschuss, Arbeitszeit, Personalplanung und Qualifizierung oder womöglich zu MS Office 365. (Wir kommen nicht drumherum, aber spannend klingt anders). Sie lassen sich quasi auf einen vollkommen neuen Beruf ein.

Vielen Beschäftigten wird es in den nächsten Jahren ähnlich gehen. Neue digitale Tools erfordern neue Kompetenzen und führen zu neuen Arbeitsabläufen in Produktions- und Bürotätigkeiten. Die „Transformation“ – oder auch der Umbruch – in der Automobilindustrie geht durch die Presse. Elektromobilität und mehr Software im Fahrzeug erfordern neues Wissen und neue Fertigkeiten, angefangen bei der Montage von Hochvoltsystemen bis hin zur Entwicklung neuer Softwarearchitekturen. Kaum ein Arbeitsplatz bleibt von diesen Veränderungen ausgespart.

Trotzdem ist und bleibt die Teilnahmequote an betrieblicher Weiterbildung gering. Laut BIBB (dem Bundesinstitut für Berufsbildung) betrug sie im Jahr 2020 gerade einmal 49 % (BIBB 2022, S. 301). Trotz eines deutlichen Anstiegs in den letzten Jahren heißt der Wert, dass die Hälfte aller Beschäftigten im Jahr 2020 keine betriebliche Weiterbildung erhalten haben – kaum vorstellbar in einer Zeit mit so schnellen Änderungen!

Gute Beispiele zeigen, dass es geht: Sei es die Beteiligung von Produktionsbeschäftigten am E-Learning bei Bosch (dafür gab es 2020 einen Sonderpreis beim Deutschen Betriebsräte-Preis), die Entwicklung von Karrierepfaden für Beschäftigte im Einkauf oder die Vereinbarung umfangreicher Qualifizierungsmaßnahmen an einem Automobil-Entwicklungsstandort (und damit die Abwehr des Personalabbaus).

Bei der Umsetzung sind Betriebsrätinnen und Betriebsräte gefragt, indem sie Lernen als zentrales Element des Wandels fordern und fördern. Das betrifft auch die Arbeitsgestaltung: Wird Weiterbildungszeit in der Kapazitätsplanung berücksichtigt, können die Beschäftigten Einfluss auf ihre Arbeitsabläufe nehmen (sie planen, durchführen und kontrollieren), Neues ausprobieren und Verbesserungen anstoßen (Mehr dazu im AgenturQ-Blog vom 22.2.2022).

Die lernförderliche Arbeitsgestaltung passt dann wie ein Puzzleteil zum anderen zur betrieblichen Weiterbildung: Für neue Arbeitsaufgaben wird qualifiziert; und neues Wissen, neue Fertigkeiten können an den Arbeitsplätzen direkt umgesetzt werden. Hier bietet das Betriebsverfassungsgesetz Informations-, Beratungs- und Mitbestimmungsrechte, also die rechtlich abgesicherte Einflussnahme. Wobei wir die Mitbestimmung des Betriebsrats immer im Zusammenspiel mit der Betriebspolitik sehen, also für die Interessen und mit der Unterstützung durch die Beschäftigten.

Das sind dicke Bretter! Manche Arbeitgeber:innen müssen erst zur strategischen Beteiligung des Betriebsrats an der Personalentwicklung und zur systematischen Qualifizierung der Beschäftigten erzogen werden. Doch der Aufwand lohnt, und das IMU-Institut und die AgenturQ unterstützen Betriebsräte dabei.

Quellenhinweise:

BIBB – Bundesinstitut für Berufsbildung (Hg.) (2022): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2022. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn. Vorversion mit Stand 11.5.2022.