Wir alle können es nicht mehr hören: Corona, Corona, Corona. Homeoffice, Homeoffice, Homeoffice. Online, Online, Online. Und jetzt auch noch Online-Lernen?
Dieses Virus hat in so ziemlich allen Lebensbereichen die Dinge durcheinandergeworfen. Alte Gewohnheiten konnten wir gar nicht oder nur noch schwer beibehalten. In den Unternehmen wurde von heute auf morgen Kurzarbeit eingeführt. Ansonsten war – und ist – Abstand halten das Gebot der Stunde.
Heißt auch: Das klassische Seminar war erstmal nicht mehr möglich. Wie sollen 15 Personen in einem kleinen Schulungsraum zusammenfinden, wenn 1,5 Meter Abstand gehalten werden müssen? Präsenz ging nicht mehr. Also wurde erstmal alles gestoppt. Als klar wurde, dass uns COVID-19 noch eine Weile begleiten wird, hat man langsam angefangen, erste Trainings online zu veranstalten. Oftmals ist das eine große Herausforderung: Können wir Konzepte für Präsenztrainings 1:1 in die digitale Welt übertragen? Welche Methoden funktionieren dort wirklich? Haben wir überhaupt die nötige technische Ausstattung, um Online-Weiterbildung anzubieten?
Fragen, die sich viele sicher immer noch stellen. Doch inzwischen kommen auch andere Fragen auf: Wo bzw. für was brauchen wir Präsenz? Brauchen wir Präsenz überhaupt? Was meinen denn unsere Beschäftigten? Ist Online-Lernen eigentlich gleichwertig zum Seminar irgendwo auf dem Land? Hat das Lernen im digitalen Raum nicht auch viele Vorteile? Und wie sehen das eigentlich unsere Leute? Wird das Online-Lernen als gleichwertig zum Seminar auf dem Land gesehen?
DREI PERSPEKTIVEN
Schauen wir uns das Online-Lernen mal aus verschiedenen Blickwinkeln an. Zuerst werfen wir einen Blick durch die Brille der Betriebswirtschaft. Anschließend schauen wir aus erwachsenenpädagogischer Sicht darauf. Zum Schluss nehmen wir den Blickpunkt der Sozialpsychologie ein.
Die Betriebswirtschaftliche Perspektive
Der Controller freut sich über Online-Schulungen. Keiner muss dafür mehr durch die Gegend reisen. Das sind teilweise enorme direkte Kosten, die eingespart werden können. Das gilt noch mehr für die Ausfallzeiten. Wer nicht sieben Stunden zum Seminar reisen muss, kann einen Tag mehr arbeiten.
Auch insgesamt sind Online-Formate in der Tendenz kürzer, oder zumindest stärker gegliedert als Präsenzformate. Das verspricht eine bessere Vereinbarkeit von Lernen und Arbeit. Will heißen, durch das Lernen in den Morgen- oder Abendstunden kann Ausfallzeit verhindert werden. Als Randnotiz hier der Hinweis, dass der Zeitpunkt des Lernens allerdings eine sehr strittige Frage zwischen Unternehmen und Betriebsrat werden kann.
So muss ein Unternehmen Lizenzen von externen Anbietern einkaufen, wenn das Online-Lernen auch einem gewissen Qualitätsstandard entsprechen soll. Alternativ können Lerneinheiten auch von Kolleginnen und Kollegen erstellt werden. Dafür braucht es dann das passende Equipment. Das muss heute übrigens gar nicht mehr viel Geld kosten. Denken Sie nur mal daran, wie gut die Aufnahmen Ihres Smartphones inzwischen sind. Freilich können zu Beginn trotzdem große Investitionen nötig sein. Allerdings rentiert sich das auch – digitale Lerneinheiten verteile ich zu null Grenzkosten an beliebig viele Mitarbeiter/-innen (das heißt, ob eine Person mehr oder weniger eine Lerneinheit nutzt, macht für mich kostentechnisch keinen Unterschied).
Was noch zu bedenken ist: Methoden aus der analogen Welt können oft eben nicht 1:1 ins Online-Lernen übertragen werden. Eine Qualifizierung der Trainer ist zu Beginn also sinnvoll – auch wenn das zusätzliche Kosten bedeutet.
Betriebswirtschaftlich spricht also vieles dafür, Weiterbildung online durchzuführen.
Die Perspektive der Erwachsenenbildung
Hier sind Methodik und Didaktik zentrale Begriffe. Es ist zum Beispiel ganz klar, dass wir bedenken müssen, dass niemand sieben oder acht Stunden konzentriert am Bildschirm eine Schulung, einen Workshop oder ähnliches verfolgen kann. Zumindest braucht es häufige Pausen. Am besten werden aber kleinere Trainingseinheiten von höchstens vier Stunden gestaltet.
Damit Lernen effektiv sein kann, müssen die Lernenden sich auf die Inhalte konzentrieren können. Das bedeutet, dass keine Ablenkung dadurch entstehen sollte, dass die eingesetzte Software, Tools usw. nicht oder nur schlecht beherrscht werden. Insofern sollte es gezielte Schulungen für den Umgang mit Konferenzsoftware und Anwendungen zur digitalen Zusammenarbeit (miro, Mural, padlet, Trello und co.) geben. Diese sollten im Vorfeld des eigentlichen Trainings stattfinden.
Ansonsten zeigen sich beim Online-Lernen auch zahlreiche Vorteile:
- Lernen im eigenen Tempo, da auch Unterbrechungen und Wiederholungen möglich sind. Das gilt allerdings nur für sogenannte asynchrone Trainings (Videos, Texte, …). Aber auch bei einem synchronen Meeting (Webinar, Online-Workshop) kann die Wiederholung ermöglicht werden, in dem die Veranstaltung aufgezeichnet wird. Das ist in vielen Softwares ganz einfach möglich.
- Lernende wählen den Zeitpunkt und das Umfeld fürs Lernen, der für sie am besten geeignet ist. Das bedeutet, dass sie sich besser motivieren und konzentrieren können.
- Viele Plattformen bieten eine unheimliche Vielfalt an Lernangeboten. Die Lernenden haben also die Möglichkeit eine Trainingseinheit auszuwählen, die sehr gut zu ihnen und ihrem Bedarf passt. Auch damit steigen die Motivation und das Durchhaltevermögen.
- In Zukunft wird es sicher viele Möglichkeiten geben, Lerneinheiten und Lernpfade noch stärker zu individualisieren.
- Durch Methoden wie das Online-Coaching (per App auf dem Smartphone) wird es viel einfacher, Gelerntes in den Alltag zu übertragen und anzuwenden.
- Digitalkompetenzen werden als „Nebenwirkung“ gleichzeitig ausgebaut.
Beachten wir also bei der Gestaltung der Online-Lerneinheiten einige (wichtige) Prinzipien, spricht aus Sicht der Erwachsenenbildung nichts dagegen, Weiterbildung digital durchzuführen.
Die Sozialpsychologische Perspektive
Uns wird zunehmend klarer, dass der soziale Aspekt beim Lernen sehr wichtig ist. Der Austausch mit anderen motiviert, bringt neue Erkenntnisse und Ideen. Dieser Austausch sollten wir also unbedingt ermöglichen. Die aktuelle Technologie bietet auch dafür zahlreiche Möglichkeiten. Die wichtigsten sind Video-Konferenzen, Foren und Chats. Für den ein oder anderen ist das noch ungewohnt. Dennoch können wir auch online sehr spannende Diskussionen führen und uns mit den anderen Lernenden verbunden fühlen. Ein gutes Beispiel dafür ist der rege Austausch, der zum Beispiel in den Foren von MOOCs entsteht. Hilfreich ist dabei, Aktivität und Austausch durch gezielte Beiträge der Veranstaltungsleitung anzuregen.
Doch wir alle wissen es inzwischen zur Genüge: Online gehen Informationen verloren. Wir erleben die digitale Kommunikation anders als den persönlichen Austausch. Selbst per Video fehlt ein Großteil der Körpersprache. Auf anderen Kanälen fehlen auch Mimik, vielleicht sogar der Tonfall (Foren, Chats). Daraus können Missverständnisse und in der Folge Probleme entstehen. Insofern ist es wichtig, dass alle Beschäftigten über ein ausreichendes Maß an digitalen Grundkompetenzen bzw. Digital Fluency verfügen. Rein technisch braucht es eine stabile Internetverbindung. Wenn die andere Person nur verzerrt, abgehackt oder verzögert zu hören ist, lenken diese technischen Störung zu sehr vom eigentlichen Inhalt ab.
Noch ist unsere Realität aber oft von analogen, persönlichen Beziehungen geprägt. Das Präsenzlernen hat also durchaus weiter seine Berechtigung. Insbesondere dann, wenn es darum geht zwischenmenschliche Fähigkeiten, die berühmten Sozialkompetenzen, auszubauen. Letztlich stellt sich auch die Frage: Wie sind wir das Lernen gewohnt? Ist es eine Generationenfrage? Was bevorzugen wir persönlich? Das kann von Person zu Person anders sein.
Aus sozial-psychologischer Sicht lautet das Fazit: Es kommt drauf an. Online-Lernen kann Präsenzlernen nicht vollständig ersetzen. Digital gehen in manchen Fällen zu viele zwischenmenschlichen Informationen verloren.
FAZIT
Ganz ehrlich: Eigentlich bin ich selber ein Fan von Präsenztrainings. Für mich ist es einfach nicht das gleiche, wie online zu lernen. Ich erlebe das ganz anders. Aber wenn ich mir anschaue, wie die drei Perspektiven zusammenspielen, kann ich nur sagen: Wir sollten viel mehr Online-Trainings machen.
Letztlich werden die Technologien, die uns zur Verfügung stehen, immer besser und bieten immer mehr Möglichkeiten. In virtuellen Klassenzimmern, die eine 3-D-Umgebung bieten, können Workshops realitätsnah durchgeführt werden. Informationen können gut über Videos, Texte, Podcasts, … vermittelt werden. Sachliche Diskussionen können prima über Videochats geführt werden. Foren erleichtern die Organisation von Lerngruppen. Nichtsdestotrotz: Wenn es um die Ausbildung einer reifen Persönlichkeit geht, um das Einüben von zwischenmenschlichen Fähigkeiten, da bin ich sicher, wird sich das Präsenztraining halten.
Vom Ziel her denken
Traditionell erscheint an dieser Stelle Blended Learning als der heilige Gral der zukünftigen Weiterbildung. Sicher kombiniert es das Beste aus beiden Welten kombiniert. Es ist eine hervorragende Methode für viele Themen.
Ich möchte aber ein anders Plädoyer halten: Zäumen Sie das Pferd doch mal mit Absicht von hinten auf. Stellen Sie als erstes die Frage, was Sie erreichen wollen, nicht, welches Format Sie nutzten wollen.
- Welches Qualifizierungsziel wollen Sie erreichen?
- Welches Verhalten sollen die Teilnehmenden anschließend zeigen, über welches Wissen verfügen?
- In welchen Kontexten sollen sie es einsetzen?
- Wo sind die Teilnehmenden? An einem Standort oder weitverteilt?
- Über welchen Zeitraum erstreckt sich das Training? In welcher Länge passen die Einheiten am besten in den Tages-/Wochenablauf?
- Wo sind längere Einheiten sinnvoll, damit Wissen und Fertigkeiten gefestigt/eingeübt/… werden können?
Wenn Sie diese Fragen sorgfältig und ehrlich beantworten und dabei betriebswirtschaftliche, die erwachsenenpädagogische und die sozialpsychologische Perspektive bedenken, kommen Sie sicher zu einem Format, ob online oder analog, das Ihrem Ziel mehr als dienlich ist.
Bleiben Sie offen, bleiben Sie neugierig: Die Zukunft beginnt mit Qualifizieren!
Auch online…