18. Januar 2022  |  
Dr. Stefan Baron

Plädoyer für eine evidenzbasierte Weiterbildungsplanung

Um es gleich zu Beginn dieses Blogbeitrags deutlich zu machen: Datenschutz ist wichtig. Mit personenbezogenen Daten muss stets vorsichtig umgegangen werden. Zudem gilt der Grundsatz der Datensparsamkeit. Personenbezogene Daten müssen dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein. Aber mal ehrlich: Wird der Datenschutz nicht auch manchmal als Ausrede oder Totschlagargument verwendet, um sich mit etwas nicht weiter beschäftigen zu müssen?

Es gibt auch den anderen Fall, dass man der Erfassung personenbezogener Daten sehr reserviert gegenüber steht. Und zwar aufgrund der Befürchtung, die gesammelten Daten könnten missbräuchlich verwendet werden. Zurzeit führen wir in unserem DigiREADY-Vorhaben wieder Umfragen durch und wie so häufig wurden uns auch dieses Mal vor Beginn der Befragung viele Fragen zu einzelnen Angaben gestellt: Warum ist die Angabe des Alters wichtig? Es geht doch in der Befragung um digitale Grundkompetenzen. Und warum wollen wir den Bildungsabschluss wissen? Gerne beantworten wir diese Fragen, doch nicht selten bleibt bei manchen Gesprächspartnern eine Grundskepsis gegenüber Befragungen von Beschäftigten zurück.

Datenbasierte Weiterbildungsplanung statt Blindflug

Dabei sollten aus meiner Sicht viel häufiger Befragungen von Beschäftigten durchgeführt werden – auch außerhalb der Projektarbeit der AgenturQ. Denn dies würde eine evidenzbasierte Weiterbildungsplanung ermöglichen. Man wäre seltener im Blindflug unterwegs, würde Kosten sparen und könnte zudem Weiterbildungsangebote anbieten, die benötigt werden und auch nachgefragt würden. Es würde seltener heißen: „Naja, wir haben es probiert. Keine Ahnung, warum kaum jemand an dem Kurs teilgenommen hat“.

Häufig herrscht noch ein Stück weit Aktivismus vor. Maßnahmen werden zum Beispiel in Projektgruppen erdacht und dann relativ rasch umgesetzt. Ohne vorher eine „Marktanalyse“ zu machen. Das will ich an zwei Beispielen erklären. Im ersten Beispiel hatten sich mehrere KMU zusammengeschlossen, um gemeinsam eine Möglichkeit zur Kinderbetreuung für ihre Beschäftigten zu schaffen. An sich eine löbliche Idee, doch wurde das Angebot kaum angenommen. Warum? Weil die Beschäftigten lange Pendelwege hatten und ihre Kinder lieber an ihrem Wohnort in die Kinderbetreuung brachten. Und weil die Teilzeitbeschäftigten an unterschiedlichen Tagen arbeiteten und die Kinderbetreuung nicht flexibel war. Im zweiten Fall wollte ein Unternehmen etwas für das betriebliche Gesundheitsmanagement tun und richtete für seine Beschäftigten ein Fitness-Studio. Doch auch dieses wurde von den Beschäftigten kaum genutzt. Zum einen weil die Arbeit selbst schon sehr anstrengend war und die Beschäftigten nach der Schicht nicht auch noch trainieren wollten. Zum anderen, weil auch sie einen längeren Heimweg hatten und lieber zu Hause im Sportverein oder im Fitnessstudio trainieren wollten.

Doch wäre eine „Marktanalyse“ möglich gewesen, um eine evidenzbasierte Planung der Maßnahmen zu ermöglichen? Ich kann mir die Diskussion zwischen einem Forschungspartner auf der einen Seite und dem Betriebsrat sowie Unternehmensvertreter:innen auf der anderen Seite gut vorstellen. Warum muss man überhaupt eine Vollbefragung machen? Antwort: Nur so bekommt man valide Ergebnisse über alle Unternehmensbereiche. Warum muss man die Postleitzahl der Privatadresse angeben? Das ist doch für die Frage nach einer betrieblich angebotenen Kinderbetreuung irrelevant. Antwort: Um die Pendelwege und -zeiten zu erfassen. Warum muss man die Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder und das eigene Alter angeben? Antwort: Um den aktuellen und potentiellen zukünftigen Bedarf an einer Kinderbetreuung abzuschätzen. Wie schon geschrieben: Im Rahmen unseres DigiREADY-Vorhabens beantworten wir immer wieder ähnliche Fragen. Aber entsprechende Fragen nach persönlichen Merkmalen wie dem Alter, dem Bildungsgrad und der Postleitzahl des Wohnorts dem Grundsatz der Datensparsamkeit, wenn es doch eigentlich um Weiterbildung geht? Wird der Datenschutz gewahrt und kann gewährleistet werden, dass aufgrund der drei Merkmale keine Einzelpersonen identifiziert werden? Diese und andere Fragen muss man vor jeder Unternehmensbefragung aufs Neue beantworten – im Idealfall unter Hinzuziehung des/der Datenschutzbeauftragten. Und natürlich müssen die Beschäftigten der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zustimmen.

Nutzung von personenbezogenen Daten für die Weiterbildungsplanung

Dennoch sollten Betriebsräte und Unternehmen aus meiner Sicht viel mehr Weiterbildungsumfragen durchführen und dabei bewusst auch solche personenbezogenen Daten abfragen. Aber warum sind denn nun Angaben zum Alter und zum Bildungsgrad relevant in einer Beschäftigtenbefragung zum Thema Weiterbildung? Oder auch Angaben zum Geschlecht, zum Migrationshintergrund oder zum Beschäftigungsverhältnis? Weil man zum Beispiel ohne die Angabe des Alters nicht herausfinden kann, ob sich ältere Beschäftigte seltener an Weiterbildung beteiligen, diskriminiert werden oder vielleicht doch viel mehr digital kompetent sind als angenommen. Und verfügen Akademiker:innen tatsächlich über höhere Digitalkompetenzen als Un- und Angelernte? Ohne die Abfrage des Bildungsabschlusses kann hierzu keine Aussage getroffen werden. Sind Mütter der Ansicht, dass das Unternehmen ihnen nach der Elternzeit die notwendige Unterstützung anbietet, um durch Weiterbildung wieder den Anschluss zu finden? Ohne die Verarbeitung der Informationen über das Geschlecht und genommene Elternzeit kann keine Aussage getroffen werden. Können Beschäftigte mit Migrationshintergrund, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, den nötigen Herstellerschulungen folgen? Wie verhält es sich mit Beschäftigten mit einer langen Unternehmenszugehörigkeit: Bilden Sie sich seltener weiter, da sie einer Beschäftigungsgarantie unterliegen? Gibt es Unterschiede in der Zufriedenheit mit den betrieblichen Weiterbildungsangeboten zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten? Unterscheidet sich die Weiterbildungsbeteiligung zwischen Standorten und Abteilungen? Beteiligen sich Beschäftigte im Homeoffice häufiger an digitalen Weiterbildungsangeboten als Beschäftigte im Großraumbüro? Welche Weiterbildungsform präferieren Beschäftigte in der Produktion im Schichtbetrieb?

Eine Auswertung dieser und anderer Fragen ermöglicht eine evidenzbasierte Weiterbildungsplanung. Ich muss beispielsweise kein Sonderprogramm zur Stärkung der Digitalkompetenzen von Älteren auflegen, wenn die Daten keine großen Unterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen aufzeigen. Vielleicht gibt es aber dennoch einen Handlungsbedarf für Beschäftigte mit einer langen Unternehmenszugehörigkeit in einem spezifischen Werksteil. Somit kann betriebliche Weiterbildung viel fokussierter geplant und angewendet werden. Und natürlich bieten die Informationen auch eine gute Grundlage für zukunftsweisende Betriebsvereinbarungen zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung.

Gemeinsame Aufgabe von Betriebsrat und Unternehmen

Natürlich kann dennoch eine Grundskepsis bleiben, vor allem weil man durch die Kombination verschiedener Eigenschaften wie Arbeitsplatz in der Produktion, Unternehmenszugehörigkeit, Alter und Geschlecht einzelne Personen identifizieren könnte. Dieser Grundskepsis kann man dadurch begegnen, dass sich Betriebsrat und Unternehmen gemeinsam auf den Weg machen und die Spielregeln zusammen festlegen. Der Betriebsrat hat hier ohnehin umfassende Mitbestimmungsrechte. Sie müssen klären, welche Informationen sie erhalten möchten und welche Fragen hierfür zu beantworten sind. Dabei gilt der Grundsatz der Datensparsamkeit. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass die Verarbeitung der Daten für die befragten Beschäftigten nachvollziehbar sind und nur zum Zwecke der Weiterbildungsplanung erhoben werden. Und schließlich sind sie dafür verantwortlich, dass die Daten der Beschäftigten in einer Form gespeichert werden, die die Identifizierung der betroffenen Personen nur so lange ermöglicht, wie es für die Zwecke, für die sie verarbeitet werden, erforderlich ist. Und hier kann man möglicherweise auch der verbliebenen Grundskepsis begegnen. Betriebsrat und Unternehmen können sich von vornhinein darauf verständigen, dass die Daten von beiden Seiten nur aggregiert ausgewertet werden können. Dies würde bedeuten, dass zum Beispiel Auswertungen für Gruppen mit weniger als 10 Beschäftigten nicht möglich wären, da andernfalls einzelne Beschäftigte identifiziert werden könnten.

Der Datenschutz sollte gewahrt werden aber nicht als Ausrede dienen. Denn für die allermeisten Fragen gibt es auch Antworten. Aber klar ist, dass der Aufwand für eine evidenzbasierte Weiterbildungsplanung recht hoch ist und im Unternehmen vielleicht auch der ein oder andere Widerstand überwunden werden muss. Aber aus meiner Sicht lohnt sich der Aufwand, der Nutzen ist um ein vielfaches höher. Vor allem wenn man die Umfrage in regelmäßigen Abständen wiederholt. In diesem Fall kann man sogar überprüfen, ob gemeinsam zwischen Betriebsrat und Unternehmen getroffene Maßnahmen ihre Wirkung entfaltet haben oder es Veränderungen bedarf.

Sind Sie an einer evidenzbasierten Weiterbildungsplanung in Ihrem Unternehmen interessiert. Dann kontaktieren Sie uns, wir unterstützen Sie gerne.