Seit dem Sommer 2019 verfolgt das durch das Bundesbildungsministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt ETAPP das Ziel, ein bundesweit standardisiertes „Modulsystem TQ“ als Handlungsempfehlung für die bildungspolitischen Entscheidungsgremien zu entwickeln. Manche Leserinnen oder Leser werden jetzt denken – TQ, da war doch was. Ja, richtig. Über Teilqualifikationen wird schon länger diskutiert, das Thema ist also nicht neu. Schon bald 15 Jahre diskutiert man über die Modularisierung der Berufsbildung, seit 2013 gibt es die Arbeitgeberinitiative Teilqualifizierung. In der Zwischenzeit gibt es viele Weiterbildungsanbieter, die Teilqualifikationen anbieten. Neuen Auftrieb erhält die Diskussion durch den Vorschlag der EU-Kommission von Anfang des Jahres zur Modularisierung der Berufsbildungsprogramme, eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung und eben durch das Projekt ETAPP.
Während die Arbeitgeberseite dem Konzept der Teilqualifikationen positiv gegenüber steht und ihren Einsatz unterstützt, sind die Gewerkschaften kritischer aufgestellt. Sie hinterfragen zum Beispiel den grundsätzlichen Bedarf an Teilqualifikationen und verweisen in diesem Zusammenhang auf die bestehenden Möglichkeiten von Anpassungsqualifizierungen, der Externenprüfung oder auch der Teilzeitausbildung. Zudem kritisieren sie, dass Teilnehmende an Teilqualifikationen im Anschluss nur in sehr seltenen Fällen einen Antrag auf Externenprüfung und damit auf einen Berufsabschluss stellen.
Für einen Außenstehenden scheint es, als ob die Fronten in der bildungspolitischen Auseinandersetzung über Teilqualifikationen oder auch Ausbildungsbausteine verhärtet sind. Dieser Blogbeitrag soll nicht nochmal das Pro und Kontra von Teilqualifikationen aufzeigen. Dazu ist an anderer Stelle schon genug geschrieben worden. Vielmehr möchte er dafür Werbung machen, die Diskussion um die Sinnhaftigkeit von Teilqualifikationen nicht mehr alleine dem Primat der Abschlussorientierung zu unterstellen.
Erhaltungs- oder Anpassungsqualifikationen mit Teilqualifikationen
Das bildungspolitische Ideal ist natürlich, dass möglichst viele Teilnehmende an Teilqualifikationen zur Externenprüfung geführt werden und diese auch bestehen. Ein Berufsabschluss bietet in der Regel eine größere Beschäftigungssicherheit, eine höhere Entlohnung, mehr Aufstiegsmöglichkeiten und höhere Vermittlungschancen im Falle von Arbeitslosigkeit. Deshalb ist es gut, dass es scheinbar einen Konsens darüber gibt, dass Teilqualifikationen grundsätzlich nur für Personen in Frage kommen, die älter als 25 Jahre sind.
Aber unabhängig von förderrechtlichen Fragen spricht auch nichts dagegen, Teilqualifikationen ganz bewusst “nur” für Erhaltungs- oder Anpassungsqualifikationen zu nutzen. Angesichts der zukünftigen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt ist es gut, über einen Katalog geeigneter Maßnahmen zu verfügen, um Beschäftigte, deren Tätigkeiten sich verändern, für neue Aufgaben zu qualifizieren. Hierfür kann eine Teilqualifikation ausreichen, es können auch mehrere sein. In den Blick geraten hierbei insbesondere Beschäftigte mit hohen Anteilen an Routinetätigkeiten am Arbeitsplatz. Diese verfügen über ein besonders hohes Substitutionspotential, da Tätigkeiten zu einem großen Teil automatisiert werden können. Vom Strukturwandel in der Metall- und Elektroindustrie sind aber auch Höherqualifizierte betroffen. Für sie können Teilqualifikationen ebenfalls das Mittel der Wahl sein. Beispielsweise für Ingenieure in der Verbrennungsmotortechnologie, die über Teilqualifikationen neue Kompetenzen erwerben, ohne gleich einen neuen Berufsabschluss anzustreben. Denkbar wären auch Teilqualifikationen, die im Rahmen einer Transferqualifizierung durch ein Kontaktstudium an einer Hochschule vermittelt werden. Wünschenswert wäre zudem, das Konzept der Zusatzqualifikationen, die auch in der Weiterbildung genutzt werden können, mit dem Ansatz der Teilqualifikationen zu verknüpfen.
Voraussetzung ist freilich, dass auf dem Weiterbildungsmarkt passende Teilqualifikationen angeboten werden. Bislang ist dies häufig nicht der Fall, was auch immer wieder kritisiert wird. Das fehlende Angebot ist natürlich die Folge der fehlenden Nachfrage, die maßgeblich durch die Weiterbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer sowie die Arbeitsverwaltung bestimmt wird. Nun sollte man nur nicht den Fehler machen und von der möglicherweise fehlenden Nachfrage der Vergangenheit auf die zukünftige Nachfrage zu schließen. Denn diese wird steigen: Bundesweit weisen knapp 54 % der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe ein hohes Substituierbarkeitspotenzial auf. Branchenübergreifend sind in Baden-Württemberg über ein Viertel der Beschäftigten betroffen. Entsprechend müssen Angebote geschaffen werden. Sobald sowohl Unternehmen wie auch Beschäftigten (und auch der Arbeitsverwaltung) der Nutzen deutlich wird, werden sie entsprechende Angebote auch nachfragen.
Transparenz für die Weiterbildung schaffen
Ein Problem des Weiterbildungsmarktes ist die Unübersichtlichkeit der vielen Angebote und die fehlende Transparenz der Inhalte der Qualifizierungsmaßnahmen. Sowohl für das Unternehmen wie auch für die Weiterbildungsinteressierten ist es häufig schwierig, das passende Angebot zu finden, welches den Erwartungen dann auch entspricht. In Bezug auf das Angebot der Teilqualifikationen setzt hier das Projekt ETAPP mit der Aufgabe an, alle Teilqualifikationen auf bundesweit einheitliche Standards festzulegen. Dadurch soll zukünftig unter anderem auch gewährleistet werden, dass bereits bei anderen Bildungsanbietern belegte Teilqualifikationen angerechnet werden, die Auswahl verschiedener Angebote besser vergleichbar ist und die Angebote schneller zertifiziert werden können.
Hinsichtlich der Nutzung einzelner Teilqualifikationen für die berufliche Weiterbildung ist die schnellere Zertifizierung möglicherweise der wichtigste Punkt. Zertifizierungen sind Signale an den Arbeitgeber, dass eine unabhängige Stelle den Inhalt der Weiterbildung überprüft hat und tatsächlich benötigte Kompetenzen vermittelt werden. In der Regel verlässt der Arbeitgeber sich auf die Zertifizierung und nimmt entsprechend seine Einstellungen, Beförderungen, Eingruppierungen oder auch andere Entscheidungen vor. Aus dem Privatleben kennt man dies von den Siegeln der Stiftung Warentest. Zertifizierungen sind aus Sicht der Arbeitgeber aber unterschiedlich viel wert, je nachdem wer sie ausgibt. Eine Zertifizierung von einer Organisation, von der man noch nie gehört hat, hat beispielsweise eine geringere Glaubwürdigkeit als eine Zertifizierung von den Industrie- und Handelskammern als die für die Ausbildung zuständigen Stellen. Entsprechend sollte im Projekt ETAPP darauf hingewirkt werden, dass die Industrie- und Handelskammern die bundeseinheitlichen Teilqualifikationen zertifizieren.
Teilqualifikationen für individuelle berufliche Ziele einsetzen
Bleibt zum Schluss noch die Frage, ob Teilqualifikationen nur in der Vorbereitung auf die Externenprüfung genutzt werden können. Die Antwort ist ein klares Nein. Natürlich darf es nicht dazu kommen, dass irgendwann die Summe der Teilqualifikationen die Externenprüfung ersetzt. Damit würde die Ganzheitlichkeit der Ausbildung verloren gehen. Wir sollten es aber jeder Teilnehmerin und jedem Teilnehmer überlassen, wie viele Teilqualifikationen sie oder er belegt, um das individuelle berufliche Ziel zu erreichen. Das kann nur eine Maßnahme sein, oder mehrere. Vielleicht geht es nur darum, sich für eine andere Tätigkeit zu qualifizieren oder eine Entgeltgruppe höher angesiedelt zu werden. Dann ist das gut so, Hauptsache die Person nimmt an einer Weiterbildungsmaßnahme teil. Keinesfalls sollte der Erfolg des Ansatzes der Teilqualifikationen daran gemessen werden, wie viele Personen nach dem Absolvieren von Teilqualifikationen zur Externenprüfung bei der zuständigen Kammer zugelassen werden oder diese gar bestehen. Solche Idealbilder entsprechen nicht der Realität der betrieblichen Herausforderungen. Aber wer weiß, vielleicht findet ja die eine oder der andere Gefallen an den Qualifizierungen und absolviert am Ende auch die Externenprüfung. Aus der Forschung ist bekannt, dass gerade bei Un- und Angelernten, die über ein geringes Vertrauen in die eigene Weiterbildungsfähigkeit verfügen, die Weiterbildungsbereitschaft von Mal zu Mal steigt. Sie merken, dass die Weiterbildungen machbar sind und gewinnen so an Selbstvertrauen für zukünftige Maßnahmen.