17. Juli 2019  |  
Dominique-Navina Pantke

Themenreihe „Prospektive Weiterbildung für Industrie 4.0“ – Interview BR

Mit unserem letzten Beitrag sind wir zum Abschluss des Projekts „Prospektive Weiterbildung für Industrie 4.0“ in unsere Themenreihe eingestiegen. Für den zweiten Teil dieser Reihe baten wir Frau Zvjezdana Tomsic zum Interview.  Sie arbeitet als Industrie- bzw. Serviceelektronikerin im Testzentrum Wafer der Robert Bosch GmbH in Reutlingen und ist zudem als nicht-freigestellte Betriebsrätin aktiv.

AgenturQ: „Liebe Frau Tomsic, ich starte gleich mit unserer ersten Frage: Was bedeutet für Sie prospektive Weiterbildung? Wodurch zeichnet sich diese für Sie aus?“
Tomsic: „Für mich heißt es, vorausschauend Wissen zu vermitteln, dass nicht zwingend für den heutigen Arbeitsplatz benötigt wird. Wissen, das jedoch für die Herausforderungen der Zukunft von großer Bedeutung ist. Ich sehe es so: In der Zukunft werden wir ernten was wir heute säen.“

AgenturQ: „Was würden Sie sagen hat das Projekt in Ihrem Unternehmen bewegt?“
Tomsic: „Endlich hat man sich mit der Weiterbildung der sogenannten Un- und Angelernten auseinandergesetzt. Wir als Betriebsrat hatten nochmals die Gelegenheit zu unterstreichen, dass die Fabriken der Zukunft für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von heute von großer Bedeutung sind und zwar für Alle.  Beschäftigte müssen gleichberechtigt an der Weiterbildung teilnehmen können, um Kompetenzen für die Zukunft auszubauen.“

AgenturQ: „Hat sich das generelle Verständnis von Weiterbildung während des Projektzeitraums verändert?“
Tomsic: „Qualifizierung hat einen höheren Stellenwert bekommen. Alle sind sich einig, dass Weiterbildung wichtiger ist denn je.“

AgenturQ: „Im Projekt wurden insgesamt sieben Weiterbildungsmodule konzipiert und  erprobt. Finden Sie, dass die richtigen Themen ausgewählt wurden? Oder wünschen Sie sich im Nachhinein andere Themen? Sind andere Themen mit der Zeit wichtiger geworden?“
Tomsic: „Da all die Themen neu und innovativ sind, ist jedes einzelne richtig und wichtig.
Es bot die Chance, mit der Firmenseite erst einmal ein gemeinsames Verständnis zum Thema zu entwickeln. Da es sich auch für uns um Neues handelt, musste erst geklärt werden, ob man über das gleiche spricht. Ich könnte mir vorstellen das Ganze um ein Modul für Führungskräfte zu erweitern. Lernen ist eine sehr individuelle Sache, die mit Vorurteilen und Ängsten verbunden ist. Da gilt es, unsere Führungskräfte zu sensibilisieren. Dieses Modul müsste sich mit Motivationsförderung befassen und der Frage wie Lernbereitschaft und Lernfitness funktioniert. Dazu gibt es zum Beispiel wertvolle Erkenntnisse aus der Hirnforschung. Mit Grundwissen ausgestattet kann eine Führungskraft das eigene Verhalten überdenken, die Belegschaft besser verstehen, eventuelle Lernblockaden abbauen und so Potenziale der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser nutzen und fördern.“

AgenturQ: „Welche Weiterbildungsmodule sind für Sie bei Bosch in Reutlingen von besonderem Interesse?“
Tomsic: „Die „Ausbildung zur Lernprozessbegleitung 4.0“ ist interessant. Für mich heißt das, Lernen muss begleitet und angeleitet werden. Es geht ja nicht nur um das Erlernen neuer Technologien, sondern auch um das Lernen mit den neuen Technologien. Dies muss mit System erfolgen.“

AgenturQ: „Zum Thema „Weiterbildung im Betrieb“: Was hat sich da Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren oder Jahrzehnten grundlegend geändert?“
Tomsic: „Zu den klassischen Weiterbildungsformaten sind digitalen Lernformen dazu gekommen. Doch hierbei werden die Beschäftigten in den Fertigungswerkstätten benachteiligt. Für diese Beschäftigtengruppe ist weder der Zugang zu den PCs und Netzwerken selbstverständlich, noch wird ihnen die Zeit für Weiterbildung im Arbeitsalltag gewährt.“

AgenturQ: „Ein Ergebnis aus dem Projekt lautet: „Wir haben keine Zeit.“ Wie kann man sich im Betriebsalltag Zeit freischaufeln, um die Weiterbildungsmodule umzusetzen?“
Tomsic: „‚Keine Zeit‘ heißt eigentlich: ’nicht genug Personal‘. Man sollte endlich in die Personalplanung bzw. Zeitaufnahmen feste Zeiten für Weiterbildung mit einkalkulieren.
Es sollten auch längere Wartezeiten, Produktionsunterbrechungen und Rückgänge der Abrufe zur Weiterbildung genutzt werden. Das können kleinere Lerneinheiten sein, aber auch größere Qualifizierungsblöcke. Für solche Situationen müssen auf jeden Fall Strategien für Qualifizierungen entwickelt werden, damit Weiterbildungskonzepte und Module „griffbereit“ zur Verfügung stehen, um flexibel angewendet werden zu können. Stattdessen handelt man in solchen Situationen wie vor 100 Jahren. Gibt es viel Geschäft, nimmt man sich keine Zeit für Qualifizierung. Gehen die Bestellungen zurück, lässt man die Beschäftigten zu Hause. Etwas Innovation an dieser Stelle ist angebracht.“

AgenturQ: „Haben Sie einen Tipp für Betriebe, die sich bzgl. einer Weiterbildung für die Zukunft gerade erst auf den Weg machen?“
Tomsic: „Weiterbildung darf keine Eintagsfliege sein, sondern muss regelmäßig und geplant erfolgen. Auf Ebene der Geschäftsleitung muss jemand für die Weiterbildung zuständig sein. So können mit den Betriebsrätinnen und Betriebsräten, als Stellvertreter der Beschäftigten, die Bedarfe ermittelt und daraus Maßnahmen abgeleitet werden. Die individuellen Bedürfnisse und Vorstellungen der Kolleginnen und Kollegen dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Weiterbildung geht nur mit den Beschäftigten und nicht nur für die Beschäftigten.“

AgenturQ: „Liebe Frau Tomsic, vielen Dank für das Interview!“