Die Automobilindustrie befindet sich in einem grundlegenden Wandel, der das Engagement aller Beteiligten erfordert. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass alle Stakeholder der Automobilbranche eine Vorstellung davon haben, wie die Zukunft aussehen kann, um die notwendigen Schritte für eine Transformation in allen Bereichen einleiten zu können. In diesem Sinne ist die Idee eines Zukunftsbildes von großer Bedeutung.
Das Zukunftsbild ist eine Vorstellung von der Zukunft, die auf fundierten Annahmen und Prognosen beruht. Es beschreibt eine mögliche Entwicklung der Branche in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Diese Zukunftsbild ist kein „Plan“, der einfach umgesetzt werden kann, sondern eher ein „Leitbild“, das als Orientierungshilfe für Entscheidungen und Handlungen dienen kann. Ein Zukunftsbild entlang der Drei-Horizonte-Strategie für die Automobilindustrie ist komplex, könnte aber wie folgt aussehen und macht deutlich, dass der Wandel des Antriebsstrangs erst der Beginn der Transformation war:
Horizont 1: Elektroautos und Produktionsverlagerung außerhalb Europas
Elektroautos werden in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen und schließlich den Markt für Verbrennungsmotoren dominieren. Die Produktion wird zunehmend außerhalb Europas stattfinden, um Kosten zu sparen. Gleichzeitig werden neue Wettbewerber (z.B. aus Saudi Arabien) mit innovativen und kostengünstigen Elektrofahrzeugen auf den Markt drängen.
Horizont 2: Autonomes Fahren, Mobilitätsdienstleistungen und Plattformökonomie
In den nächsten 5-10 Jahren wird die Automobilindustrie einen massiven Wandel erleben, der durch autonomes Fahren, Mobilitätsdienste und Plattformökonomie angetrieben wird. Autos werden vernetzter und autonomer, was neue Mobilitätsdienste und Geschäftsmodelle ermöglicht. Automobilhersteller werden zu Mobilitätsdienstleistern, die Menschen von A nach B bringen, anstatt nur Autos zu verkaufen. Plattformen werden die Schnittstelle zwischen Kunde und Dienstleistung bilden und den Wettbewerb in der Branche neu definieren.
Horizont 3: Technologiekonvergenz und softwaredefinierte Fahrzeuge
In 10 bis 20 Jahren wird es zu einer Konvergenz von Technologien kommen: Softwaredefinierte Fahrzeuge, die auf künstlicher Intelligenz basieren, werden die Norm sein. Autos werden sich an die Bedürfnisse der Insassen anpassen und selbstständig lernen, wie sie am besten navigieren und fahren. In diesem Szenario werden Autos zu mobilen Plattformen, die eine Vielzahl von Diensten wie Gesundheitsüberwachung, Unterhaltung oder Einkaufsmöglichkeiten während der Fahrt anbieten können.
Diese Veränderungen haben enormen Einfluss auf die gesamte Industrie, insbesondere auf Zulieferer und die notwendigen Kompetenzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Bisherige Qualifikationen sind weniger bedeutsam, während neue Kompetenzen gefordert sind, um in dieser „neuen Welt“ erfolgreich zu sein. Eine wichtige Maßnahme zur Bewältigung dieser Herausforderungen ist die kontinuierliche Weiterbildung.
Weiterbildungsauftrag der Hochschulen
„Die Hochschulen sollen wissenschaftliche und künstlerische Weiterbildung in Form von weiterbildenden Studiengängen und Kontaktstudien anbieten“ So steht es in § 31 des Landeshochschulgesetzes Baden-Württemberg. Für diesen Auftrag sind speziell die Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) bestens gerüstet. Engagierte und praxiserfahrene Professorinnen und Professoren sind durch die notwendige Praxiserfahrung für eine Berufung in aller Regel weiterhin eng mit der Praxis verbunden. Forschungstätigkeiten, internationaler Austausch und vielfältige Transferprojekte sorgen dafür, dass man „auf der Höhe der Zeit“ ist. Damit beste Voraussetzungen, um auch in der Transformation der Automobilwirtschaft Kompetenzen und Impulse durch geeignete Weiterbildungsformate einzubringen. Dies betrifft nicht nur technisch-naturwissenschaftlichen Bereich, sondern den organisatorischen Wandel und den Bereich der Mitarbeiterführung in diesen neuen Arbeitswelten.
Wissenschaftliche Weiterbildung im Dilemma
Trotz der gesetzlichen Aufforderung findet die wissenschaftliche Weiterbildung an Hochschulen nur punktuell im größeren Maßstab statt. Dies liegt daran, dass die wissenschaftliche Weiterbildung zwingend gebührenfinanziert sein muss und eine strikte haushaltsrechtliche Trennung gewährleistet sein muss. Eine Querfinanzierung oder Subventionierung der Weiterbildung durch die Mittel für die grundständige Lehre und Forschung ist untersagt. In diesem Zwiespalt zwischen gesetzlicher Aufforderung und haushaltsrechtlichen Restriktionen tun sich viele Hochschulen schwer damit, die wissenschaftliche Weiterbildung voranzubringen. Schwerfällige Organisationsstrukturen und bürokratische Abläufe tun ein Übriges. Erfolgreiche Weiterbildungsaktivitäten an Hochschulen sind daher meist mit rechtlich selbständigen Organisationsstrukturen verbunden, die ein agiles und unternehmerisches Handeln ermöglichen. So findet man neben gemeinnützigen GmbHs, Vereine und Stiftungen als Träger der wissenschaftlichen Weiterbildung, für die dann engagierte und intrinsisch motivierte Professorinnen und Professoren im Nebenamt tätig werden.
Hochschulweiterbildung@BW
An dieser schwierigen Ausgangssituation hat auch die 2021 gestartete ressortübergreifende Weiterbildungsoffensive des Landes WEITER.mit.BILDUNG@BW wenig geändert. Zwar fließt von den insgesamt bis 2024 bereit gestellten 40 Millionen ein erheblicher Teil in die wissenschaftliche Weiterbildung. Unter der Überschrift Hochschulweiterbildung@BW wurden drei Initiativen gestartet. (1) Eine IT-Plattform (bislang: https://www.suedwissen.de/) soll alle Weiterbildungsangbote der Hochschulen transparent darstellen (2) Es wurde eine zeitlich begrenzte Struktur von Regional- und Fachvernetzungsstellen (25 Vollzeitstellen) geschaffen, welche die Hochschulen miteinander vernetzen, die Angebote bei Unternehmen bekannt machen und Synergien schaffen sollen. (3) Es soll eine Dachmarke und ein Qualitätssiegel für die Angebote der wissenschaftlichen Weiterbildung geschaffen werden. Das Projekt läuft bis 2024 und des bleibt abzuwarten, ob hieraus die erhofften Impulse für die Hochschulweiterbildung entstehen.
Innovative und Flexible wissenschaftliche Weiterbildungsangebote für die Transformation nutzen
Bis dahin werden die bereits bestehenden Weiterbildungseinrichtungen weiterhin ihren Weg gehen und die bestehenden Chancen für die wissenschaftliche Weiterbildung nutzen.
Aus der Sicht eines Anbieters gibt es folgende Erfolgsfaktoren:
- Hochschulniveau qualitätsgesichert gewährleisten!
Über allem steht die Anforderung, relevante und aktuelle Weiterbildungsinhalte durch kompetente und engagierte Lehrkräfte zu vermitteln. Dieser Anspruch muss durch die bei den Hochschulen vorhandenen Strukturen und Abläufe der Qualitätssicherung untermauert werden. Hierzu gehören auch eine Lernerfolgsmessung sowie eine faire und leistungsgerechte Benotung der Prüfungsleistungen.
- „Zeugnisse“ der Hochschulen verleihen!
Die erfolgreiche Hochschulweiterbildung muss für die Absolventen in „vorzeigbarer“ Form durch Zertifikate und Zeugnisse dokumentiert werden. Zugangsvoraussetzungen gem. DQR und die Bewertung der Abschlüsse mit Credit Points (ECTS) schaffen Transparenz, Vergleichbarkeit und Anrechenbarkeit. Dadurch hebt sich die wissenschaftliche Weiterbildung von den vielfältigen Angeboten anderer Anbieter ab. Sie schafft für die Teilnehmer einen Mehrwert, der mit dem Ruf der Hochschule eng verbunden ist.
- Micro Credentials – Wirklich etwas Neues?
Bei den genannten Abschlüssen und Zeugnissen geht es nicht nur um die klassischen Vollabschlüsse Bachelor und Master. Der Trend bei den berufsbegleitenden Abschlüssen geht richtigerweise stärker in kleinteilige Formate wie Zertifikate, Certificates, Diplomas of Advanced Studies, Diploma of Basic Studies o.ä. sowie in einen modularen Aufbau. Die Deutsche Gesellschaft für Wissenschaftliche Weiterbildung (DGWF) hat hierfür ein Transparenzraster entwickelt. Über die EU wird unter dem Begriff Micro Credentials ebenfalls die Entwicklung kleinteiliger Format gefördert. Dieser Begriff überlappt sich stark mit dem Transparenzraster der DGWF und der Inhalt ist daher nicht neu.
- Praxistransfer organisieren!
Für die berufsbegleitende Weiterbildung hat sich eine Verzahnung mit dem beruflichen Alltag und dem beruflichen Hintergrund als förderlich erwiesen. Projektarbeiten und Thesen sind ein guter Weg, um mit der Weiterbildung gleichzeitig einen Praxistransfer zu erreichen und Innovationen im Unternehmen voranzubringen.
- Unternehmen überzeugen!
Unternehmen sehen zunehmend Weiterbildungsangebote für ihre Beschäftigten als Faktor für den Unternehmenserfolg und auch als positiven Aspekt der Arbeitgebermarke. Die Hochschulweiterbildung kann daher sowohl der Kompetenzerweiterung des Unternehmens als auch der persönlichen Weiterentwicklung der Beschäftigten dienen. Die Hürde der Gebührenfinanzierung kann durch Unterstützungsangebote der Unternehmen reduziert werden.
- „Mid Ager“ bzw. „Best Ager“ als Zielgruppe erreichen
Die wissenschaftliche Weiterbildung spricht bislang sehr stark junge Bachelor-Absolventen an und bietet den Weg zu einem berufsbegleitenden Masterabschluss bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit. Diese einseitige Ausrichtung ist überholt. Immer mehr, auch ältere Berufstätige sehen die Notwendigkeit, gezielt Kenntnisse und Fähigkeiten zu erweitern, aufzufrischen oder neu zu lernen. Für diese Zielgruppe sind die genannten Micro Credentials ideal. Solche Angebote können im Hinblick auf die Transformationsziele zielgerichtet gestaltet werden.
- Durch virtuelle Formate die Vereinbarkeit mit dem Beruf ermöglichen
Bei der Ausgestaltung von berufsbegleitenden Weiterbildungsangeboten sind zeitliche und örtliche Flexibilität entscheidende Kriterien. Reine Präsenzformate sind zwar relativ einfach zu organisieren. Spätestens nach den Erfahrungen der Pandemie werden virtuelle Formate gefordert, die aber oft nur Präsenzvorlesungen streamen oder als Konserve bereitstellen. Der persönliche Austausch zwischen den Lehrenden und den Teilnehmenden sowie zwischen den Teilnehmenden ist aber ein unschätzbarer Wert gerade in der berufsbegleitenden Weiterbildung. Und speziell in den technisch orientierten Fächern ist eine „Laborumgebung“ oft unabdingbar.
- Blended Learning (1+1=3) als Königsweg
Eine gesunde Mischung zwischen intensiven Präsenzveranstaltungen und virtuellen Anteilen erweist sich als Königsweg. Dabei muss als 3. Element eine innovative Lernplattform hinzukommen, so dass die vorproduzierten Inhalte asynchron, d.h. zeit- und ortsunabhängig bearbeitet werden können sowie Rückmeldungen über Lernergebnisse gegeben werden können. Die Lernplattform schafft damit einen virtuellen Raum für Kommunikation und Kollaboration, der auf Basis des persönlichen Kennenlernens im Präsenzteil einen Mehrwert bringt.
Mit den genannten Erfolgsfaktoren und zielgerichteten Angeboten kann die wissenschaftliche Weiterbildung einen wichtigen Beitrag zur Transformation der Automobilwirtschaft leisten.
Gastautoren: Prof. Dr. Bernhard Kölmel und Prof. Dr. Reinhard Rupp von der Hochschule Pforzheim