Nur 35 Prozent der Unternehmen in Baden-Württemberg fördern Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. Diese Zahl hat mich erschrocken. Doch dann habe ich mich mit den Statistiken beschäftigt und festgestellt, dass doch alles nicht so schlimm ist. Aber etwas tun muss sich trotzdem.
Kurz vor Weihnachten hat das Wirtschaftsministerium den Bericht “Betriebliche Fort- und Weiterbildung in Baden-Württemberg 2021” vorgelegt und die dazugehörige Pressemitteilung damit überschrieben, dass die Weiterbildungsaktivität der Betriebe wieder leicht gestiegen ist. Wen das zunächst freut, muss aber beim Nachlesen im Bericht feststellen, dass der Anstieg minimal ausfällt. So haben im Jahr 2021 trotz Anstieg nur 35 % der Unternehmen in Baden-Württemberg Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen gefördert, im Jahr davor waren es 32 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 waren es noch 56 Prozent.
Doch die niedrigen Werte sind wenig überraschend. In Krisenzeiten müssen Unternehmen sparen und das gelingt vergleichsweise einfach im Weiterbildungsbudget. Es werden dann nur noch zwingend notwendige Maßnahmen gefördert, offene Weiterbildungsangebote wie zum Beispiel Sprachkurse oder auch zu Themen wie Projektmanagement werden gestrichen. Doch irgendwann müssen die Qualifizierungen nachgeholt werden, insofern ist für das Jahr 2022 mit einem deutlichen Anstieg der Weiterbildungsaktivitäten zu rechnen. Die subjektive Wahrnehmung aus den Betriebskontakten der AgenturQ ist zudem, dass viele Unternehmen die Wichtigkeit von Weiterbildung in der Gestaltung der Transformation erkannt haben, zudem kann Weiterbildung auch als Mittel zur Stärkung der Arbeitgeberattraktivität genutzt werden.
Statistik zeigt nur einen Bruchteil der Weiterbildungsaktivitäten
Aber haben Unternehmen in den Jahren 2021 und 2022 tatsächlich so wenig in Weiterbildung investiert, wie es die Zahlen der Studie suggerieren? Aus meiner Sicht werden sie der betrieblichen Weiterbildungsrealität nicht gerecht, da die tatsächlichen Weiterbildungsaktivitäten unterschätzt werden. Den Autoren der Studie ist da kein Vorwurf zu machen, denn sie können sich nur auf die vorhandenen Daten stützen. Doch das zugrunde liegende IAB-Betriebspanel fragt eben nur nach formal organisierten Weiterbildungen, welche durch den Arbeitgeber durch Freistellung und/oder Übernahme der Kosten gefördert werden. Non-formale Weiterbildungen, Lernen am Arbeitsplatz oder auch andere Formen des informellen Lernens werden nicht erfasst.
Mehr informelles Lernen in der Corona-Zeit
Doch gerade das informelle Lernen hat in der Corona-Zeit massiv zugenommen. Viele von denen, die diesen Beitrag lesen, haben sich während des Lockdowns so viel weitergebildet wie nie zuvor. Die Angebote von kostenlosen Webinaren, Moocs oder Online-Tutorials sind quasi exponentiell angestiegen, wir hatten die Qual der Wahl. Die AgenturQ hatte deshalb auch einen Leitfaden zum digitalen Lernen mit kostenlosen bzw. kostengünstigen Angeboten zur Verfügung gestellt. Und unsere Arbeitgeber haben die Teilnahme an diesen informellen Lernformen ermöglicht bzw. erlaubt. Auch das ist aus meiner Sicht eine Form von betrieblicher Weiterbildung. Manche Arbeitgeber haben sogar eigene Apps zum Online-Training geschaffen, andere haben allen Beschäftigten Angebote von LinkedIn Learning eröffnet. Solche Arbeitgeberangebote tauchen in den offiziellen Statistiken nicht auf.
Macht sich diese Angebotspalette denn in vorliegenden Auswertungen zur individuellen Weiterbildungsteilnahme bemerkbar? Die klare Antwort ist ja. Auch wenn Corona-bedingt das Weiterbildungsangebot der Unternehmen stark zurückgegangen ist, so ist in den individuellen Teilnahmequoten an berufsbezogener Weiterbildung glücklicherweise kein Einbruch zu verzeichnen. Vielmehr verzeichnen die Daten des Adult Education Survey im Vergleich der Jahre 2018 und 2020 bezüglich der berufsbezogenen Weiterbildung einen Anstieg von 6 Prozent auf 54 Prozent und auch die Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung stieg um 6 Prozent auf 49 Prozent. Beides sind im Zeitverlauf Spitzenwerte. Der Adult Education Survey fragt nach Bildungs- und Weiterbildungsveranstaltungen der letzten 12 Monate, an denen aus beruflichen oder persönlichen Gründen teilgenommen wurde. Dies schließt Schulungen am Arbeitsplatz und auch kurzfristige Bildungsveranstaltungen wie Webinare mit ein.
Also alles doch nur halb so schlimm, wie es uns die Studie des Wirtschaftsministeriums vermittelt? Ja und Nein. Natürlich ist es schön, dass die individuelle Weiterbildungsbeteiligung im Jahr 2020 nicht in einem ähnlichen Maße eingebrochen ist wie das betriebliche Weiterbildungsangebot. Aber wir dürfen uns nichts vormachen. Der hohe Weiterbildungsanteil rührt auch daher, dass neue Online-Angebote vergleichsweise schnell den Corona-bedingten Wegfall bestehender Seminarangebote mehr als ausgleichen konnten. Ohne die neuen Formate wäre die Weiterbildungsbeteiligung vermutlich stark zurückgegangen. Und das knapp die Hälfte der Interviewpartner an keiner Weiterbildung teilgenommen haben, ist auch kein Ruhmesblatt.
Baustelle(n) für die Zukunft: Allen Beschäftigten den Zugang zu Weiterbildung ermöglichen
Doch von den Online-Angeboten konnten vor allem all jene maßgeblich profitieren, die mobil von zu Hause gearbeitet haben und in ihrer Arbeitszeiteinteilung flexibel waren. Weniger profitieren konnten wieder einmal Mitarbeitende in der Produktion, die über keinen Computerarbeitsplatz verfügen und im Lockdown in Kurzarbeit geschickt wurden, ohne dass die Zeit für notwendige Qualifizierungsmaßnahmen genutzt wurde. Zudem wurden digitale Weiterbildungsformate noch stärker von größeren Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten eingesetzt, während sich kleinere Unternehmen schwerer taten. Insofern tut sich das altbekannte Muster auf: Beschäftigte in Tätigkeiten mit einem hohen Anteil an Routinetätigkeiten bilden sich seltener fort als Akademiker:innen, kleine und mittelständisch geprägte Unternehmen verfügen über ein kleineres Weiterbildungsangebot als die Großunternehmen. Unsere Hausaufgaben bleiben also bestehen. Aber es gibt ja auch schon viele Initiativen wie zum Beispiel die Qualifizierungsverbünde, die darauf abzielen, das Weiterbildungsangebot und die -beteiligung nachhaltig zu stärken.
War die Weiterbildung in der Krise nachhaltig? Noch ist es zu früh, darüber zu urteilen, ob die Weiterbildung während der Corona-Krise auch nachhaltig war. Viele Angebote wurden innerhalb kürzester Zeit konzipiert und auf den Markt gebracht, als Weiterbildungsinteressierter hat man sich insbesondere im ersten Lockdown durch die Angebote “durchprobiert”. Einer Weiterbildungsstrategie ist man dabei nicht immer gefolgt, häufig haben die Angebote nicht ineinandergegriffen. Man sollte sich aber zuvor Gedanken machen, wohin man sich entwickeln möchte und welche Weiterbildungsmaßnahmen hierfür förderlich sein können.