
Vergangene Woche haben die beiden Sozialpartner Südwestmetall und IG Metall im Beisein vieler Unternehmensvertreter und Betriebsratsmitgliedern die Erklärung „Wirtschaft für Demokratie“ unterzeichnet. Sie haben ein wichtiges Zeichen gesetzt, in dem sie deutlich gemacht haben, dass die Unternehmen für Vielfalt und Toleranz stehen und jegliche Form von Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung ablehnen. Die Verbände übernehmen Verantwortung und machen sich gemeinsam stark gegen Hass und Hetze in der Gesellschaft.
Nun muss die Botschaft in die Betriebe getragen werden und als AgenturQ stellt sich die Frage, welche Aufgabe hierbei die Weiterbildung übernehmen kann.
Wahrscheinlich sind die Wähleranteile unter den Beschäftigten in den Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg nicht ganz so hoch wie zum Beispiel im Opel-Werk in Eisenach, wo nach Schätzungen des Betriebsrats bis zu einem Drittel der Beschäftigten ihr Kreuz bei der AfD macht. Aber in der Sonntagsfrage zur Landtagswahl im Baden-Württemberg Trend des SWR kommt die AfD immerhin auf 18 Prozent. Und nur noch 43 Prozent sind mit der Demokratie in Deutschland zufrieden oder sehr zufrieden. Wir können davon ausgehen, dass diese repräsentativen Werte für das ganze Land in etwa die Stimmungslage im Durchschnitt der Unternehmen widerspiegeln.
Natürlich sind nicht alle Wählerinnen und Wähler der AfD Rechtsextreme. Es ist eher die Minderheit. Der Großteil der Sympathisanten sind Beschäftigte, die von der Vielzahl der uns alle betreffenden Veränderungen überfordert sind: Ukraine-Krieg, Inflation, gestiegene Energiekosten, Flüchtlinge, … Und dann kommen noch die fast täglichen Zeitungsmeldungen über Stellenabbau und Standortverlagerungen dazu, die Angst machen vor dem eigenen Job- und dadurch auch Statusverlust. Wem kann man da verdenken, sich die gute alte Zeit zurück zu wünschen. Genau hier holen extreme Parteien Wähler ab, in dem sie falsche Versprechungen machen. Doch auch wenn man etwas anderes verspricht, sind die Verbrennungsmotoren in Autos eine langsam auslaufende Technologie und die Atomkraftwerke werden auch nicht wieder eingeschaltet. Und ja, wir brauchen Zuwanderung, um schon heute den Fachkräftebedarf in Deutschland zu decken. Auch wenn diese Aussage aus Sicht der Facharbeiter, die um ihren Job bangen, wie blanker Hohn klingt.
Was kann Weiterbildung zur Stärkung der Demokratie beitragen?
Und hier kann die Weiterbildung ansetzen. Nicht Weiterbildung im klassischen Sinne eines Kursangebots. Sondern Weiterbildung im Sinne der Aufklärung bzw. – dies ist der bessere Begriff – der Erklärung in innerbetrieblichen Formaten wie Betriebsversammlungen, Vorträgen oder auch im direkten Austausch. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber in vielen Unternehmen, so ist mein Eindruck, werden Beschäftigte in der Transformation nicht mitgenommen, die Herausforderungen und ihre Antworten nicht erklärt. Stattdessen werden sie vor vollendete Tatsachen gestellt. Kein Wunder, dass der Ärger „auf die da oben“ dann groß ist. Aber zum Beispiel aus Bürgerdialogen auf kommunaler Ebene wissen wir, dass durch vollständige Informationen und das bereitgestellte Wissen auch ein Grundverständnis für schwierige Fragestellungen und Prozesse hergestellt werden kann und am Ende dann tragfähige Lösungen entstehen können. Keine Frage, der Aufwand ist groß und der Nutzen für das Unternehmen selbst wahrscheinlich geringer als für die Demokratie. Denn alleine das Gehört werden und die Möglichkeit der Einflussnahme widerlegt doch die These, dass die Politik über die Köpfe der Beschäftigten hinweg entscheidet.
Eine aktuelle Studie der Otto Brenner-Stiftung beleuchtet die wichtige Rolle der Betriebsparteien hierbei. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass das Handlungsfähigkeitserleben in der politischen und in der betrieblichen Arena zusammenhängen. Insofern müssen die individuellen und kollektiven Formen der Beteiligung an innerbetrieblichen Entscheidungen positiv und proaktiv gestaltet werden, so dass Gestaltungsspielräume oder die Möglichkeiten des kollektiven Aktivwerdens wahrgenommen werden (können) (vgl. Kiess et al. 2023). Letztlich gilt das auch für die tarifvertraglich festgelegten Qualifizierungsgespräche. Richtig durchgeführt, können sie eben solche Gestaltungsspielräume aufzeigen und zugleich einen Beitrag zum Gehört werden und zur Wertschätzung leisten. Personen mit gefestigtem rechtsradikalem Gedankengut wird man auf diese Weise nicht abholen können, das zeigt die Studie auch. Aber vielleicht die Unzufriedenen. Einen Versuch ist es jedenfalls mehr als wert.
Demokratiebildung als Teil der Weiterbildung?
Die Mitbestimmung kann insofern zur Demokratiebildung am Arbeitsplatz beitragen. Von der ab und zu geäußerten Idee, Demokratiebildung zum festen Bestandteil von beruflichen Fortbildungen zu machen, halte ich dagegen persönlich wenig. Demokratiebildung muss ihren festen Platz in der Berufsausbildung haben, ebenso muss sie beispielsweise in den Vorbereitungskursen zu den Teilen III und IV der Meisterprüfung mitgedacht werden. Aber 15 Minuten Fortbildung beispielsweise zu den Grundrechten im Grundgesetz zu Beginn jeder Qualifizierungsmaßnahme würden schnell als lästige Pflicht wahrgenommen werden, vor allem wenn die Grundrechte so gar nichts mit dem eigentlichen Thema der Weiterbildung zu tun hätten. Mal davon abgesehen, dass diejenigen, die man damit erreichen will, eher seltener an Weiterbildung teilnehmen.
Bedeutung überfachlicher Kompetenzen
Umgekehrt wird ein Schuh daraus, wenn ich Demokratiebildung als Lernprozesse verstehe, bei denen Fähigkeiten und Kenntnisse im Umgang mit Politik und Demokratie erworben werden. Denn das trifft auf ganz viele berufliche Fortbildungen zu, in denen neben Fachkompetenzen auch überfachliche Kompetenzen vermittelt werden. Denn sind es nicht überfachliche Kompetenzen wie zum Beispiel Entscheidungsfähigkeit, Proaktivität, Veränderungsbereitschaft, Kritikfähigkeit, innovatives Denken, Perspektivenwechsel, Zuverlässigkeit, Lösungsorientierung und vor allem Ambiguitätstoleranz, die ich im Umgang mit Politik und Demokratie brauche? Dies sind übrigens alles Zukunftskompetenzen, die in der Future Skills-Studie der AgenturQ identifiziert wurden.
Und können wir als AgenturQ oder die Bildungsträger und Verbände insgesamt einen Beitrag leisten? Natürlich und manchmal machen schon kleine Dinge den Unterschied.
Positive Botschaften formulieren und Perspektiven entwickeln
Oben habe ich geschrieben, dass viele Menschen von den uns alle betreffenden Veränderungen überfordert sind und man es niemanden verdenken kann, sich die gute alte Zeit zurück zu wünschen. Aber tragen wir vielleicht nicht auch zu der Überforderung bei, indem wir Negativszenarien entwickeln, die uns als Begründung dienen, dringend in Weiterbildung zu investieren bzw. dringend an Weiterbildung teilzunehmen? Ja, Unternehmen und Beschäftigte müssen für kommende Veränderungen sensibilisiert werden. Aber wir sollten es mit dem „Wachrütteln“ nicht übertreiben. Nicht das der Eindruck entsteht, dass Hopfen und Malz verloren ist und man den Betrieb in spätestens zwei Jahren ohnehin zusperrt. Bad news are good news. Das gilt für die Medien und manchmal auch für die Projektarbeit. Wir dürfen nicht erschrecken, sondern müssen es vielmehr schaffen, positive Botschaften zu formulieren, Perspektiven aufzuzeigen und diese in die Unternehmen zu tragen. Die Kernbotschaft ist die gleiche, aber die Formulierung macht den Unterschied: „Ohne Weiterbildung droht Ihnen die Arbeitslosigkeit“ oder „Durch Weiterbildung stärken Sie Ihre Beschäftigungsfähigkeit“.
Tue Gutes und rede nicht nur darüber
Mein letzter Punkt: Es gibt in der Weiterbildungslandschaft viele tolle Projekte, Initiativen und Piloten. Auch gibt es viele lesenswerte Studien. Wenn man das alles so auf der Makroebene betrachtet, kommt man schnell zum Schluss, dass der Werkzeugkoffer der betrieblichen Personalpolitik gut bestückt ist. Die Bertelsmann-Stiftung hat beispielsweise letztes Jahr in einer Studie aufgezeigt, wie berufliche Übergänge in der Automobil- und Zulieferindustrie gestaltet werden können. Im Projekt VALIKOM werden informelle Kompetenzen für neue Tätigkeiten validiert und das Projekt ETAPP zeigt auf, wie man Stück für Stück über Teilqualifikationen zu einem (neuen) Berufsabschluss geführt werden kann. Und dann gibt es natürlich noch die vielen Angebote der AgenturQ. Alle Maßnahmen eint, dass sie erprobt sind und in der Fachwelt wohl bekannt sind, doch es nicht richtig gelingt, sie flächendeckend in der betrieblichen Praxis zu verankern. Dabei können sie Perspektiven in einer sich verändernden Welt eröffnen, die zum Erhalt des Jobs und des sozialen Status beitragen können. Und auch dazu beitragen, dass sich Menschen nicht verloren und im Stich gelassen fühlen, sondern positiver in die Zukunft schauen anstatt sich die gute alte Welt zurück zu wünschen.