Am 28. Mai ist das lange im Voraus diskutierte Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung in Kraft getreten. Es beinhaltet unter anderem für die betriebliche Praxis wichtige Änderungen des sogenannten Qualifizierungschancengesetzes. In diesem Beitrag möchte ich die wesentlichen Punkte vorstellen, die von Relevanz für die betriebliche Weiterbildungsorganisation sind: Dies sind einerseits die Novellierung des § 82 SGB III („Qualifizierungschancengesetz“) sowie die Neuregelungen von § 106a SGB III und § 111a SGB III bezüglich der Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen bei beruflicher Weiterbildung bzw. der Förderung der beruflichen Weiterbildung bei Transferkurzarbeitergeld.
§ 82 SGB III Förderung beschäftigter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
In unserer Beratungspraxis wurde von Unternehmens- und Betriebsratsseite immer wieder kritisiert, dass mindestens 161 Stunden als Voraussetzung für eine Weiterbildungsförderung viel zu lange sind. Es gäbe für so einen langen Zeitraum gar keine passenden Weiterbildungsangebote und Unternehmen würden ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gar nicht für so eine lange Zeit freistellen können. Das war natürlich vor Corona.
Der Gesetzgeber hat sich die Kritik zu Herzen genommen und die Regelung angepasst: Ab sofort beträgt die Mindeststundenzahl für die Förderfähigkeit der Weiterbildungsmaßnahme nur noch 121 Stunden anstatt zuvor 161 Stunden. Die sonstigen Voraussetzungen nach § 82 Absatz 1 bleiben unverändert.
Darüber hinaus wurden die Fördersätze für die Bezuschussung der Lehrgangskosten und des Arbeitsentgelts angepasst. Diese Änderungen gelten jedoch erst ab dem 1. Oktober 2020!
- Für alle Unternehmensgrößen erhöht sich der Zuschuss der Bundesagentur für Arbeit zu den Lehrgangskosten um fünf Prozent, wenn eine Betriebsvereinbarung über die berufliche Weiterbildung oder ein Tarifvertrag, der betriebsbezogene berufliche Weiterbildung vorsieht, vorliegt. Ist dies der Fall, können auch die Zuschüsse zum Arbeitsentgelt um fünf Prozentpunkte erhöht werden;
- Unabhängig von der Betriebsgröße und dem Vorhandensein einer Betriebsvereinbarung bzw. eines Tarifvertrags erhöht sich der Zuschuss der Bundesagentur für Arbeit zu den Lehrgangskosten um 10 Prozent, wenn die beruflichen Kompetenzen von mindestens 20 Prozent der Beschäftigten (in KMU mit weniger als 250 Beschäftigten 10 Prozent) eines Betriebs den betrieblichen Anforderungen voraussichtlich nicht oder teilweise nicht mehr entsprechen. In diesem Fall kann auch der Zuschuss zum Arbeitsentgelt um 10 Prozent erhöht werden;
Hinweis: Für die Betriebspraxis bedeutet dies, dass bei gleichzeitigen Vorhandensein einer Betriebsvereinbarung bzw. eines entsprechenden Tarifvertrags und dem Umstand, dass 10 bzw. 20 Prozent der Beschäftigten den betrieblichen Anforderungen voraussichtlich nicht oder teilweise nicht mehr entsprechen, sich der Zuschuss zu den Lehrgangskosten um 15 Prozent erhöhen kann (5 + 10 Prozent). Der Zuschuss zum Arbeitsentgelt kann ebenfalls um bis zu 15 Prozent erhöht werden.
Damit kommt der Gesetzgeber den Unternehmen entgegen, wenngleich es nicht der große Wurf ist. Zumal ein dicker Wermutstropfen bleibt:
Denn der Gesetzgeber hat im novellierten § 82 SGB III nun auch klar geregelt, dass zur Bestimmung der Betriebsgröße sämtliche Beschäftigte des Unternehmens bzw. des Konzerns herangezogen werden, nicht nur die Anzahl der Beschäftigten am jeweiligen Unternehmensstandort.
Grundsätzlich muss beachtet werden, dass die Förderleistungen im Ermessen der zuständigen Agentur für Arbeit liegen. Daher empfehle ich, frühzeitig den Kontakt zu suchen.
Neuer § 106a Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge bei beruflicher Weiterbildung
Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Kurzarbeitergeld beziehen und an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme nach § 82 SGB III teilnehmen, können dem Arbeitgeber auf Antrag für den jeweiligen Kalendermonat 50 Prozent der von ihm alleine zu tragenden Beiträgen zur Sozialversicherung in pauschalierter Form erstattet werden.
Voraussetzung ist, dass der zeitliche Umfang der Weiterbildungsmaßnahme mindestens 50 % der Ausfallzeit beträgt. Dies bedeutet, dass die Arbeitsausfallzeit entsprechend mindestens 242 Stunden betragen muss (2 x 121 Stunden; rund 7 Wochen bei einer 35 h Woche).
Neuer § 111a Förderung der beruflichen Weiterbildung bei Transferkurzarbeitergeld
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die einen Anspruch auf Transferkurzarbeitergeld nach § 111 SGB III haben, können bei Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen, die während des Bezugs von Kurzarbeitergeld enden, durch die Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn
- die Arbeitsagentur sie vor Beginn der Teilnahme beraten hat,
- der Träger der Maßnahme und die Maßnahme für die Förderung zugelassen sind und
- der Arbeitgeber mindestens 50 Prozent der Lehrgangskosten trägt.
Auch die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen, die erst nach dem Bezug von Kurzarbeitergeld enden, kann gefördert werden. Dies gilt, wenn
- Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Grundsätze nach § 81 SGB III erfüllen,
- der Arbeitgeber während des Bezugs des Transferkurzarbeitergelds mindestens 50 Prozent der Lehrgangskosten trägt und
- die Maßnahme spätestens drei Monate (bei länger als ein Jahr dauernden Maßnahmen spätestens 6 Monate) vor der Ausschöpfung des Anspruchs auf Kurzarbeitergeld beginnt.
In beiden Fällen gilt, dass sich im Falle von KMU mit weniger als 250 Beschäftigten der Mindestbeitrag des Arbeitgebers auf 25 Prozent verringert. Im Falle der Unternehmensinsolvenz kann die Agentur für Arbeit eine niedrigere Beteiligung des Arbeitgebers festlegen.
Bewertung
Das Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung beinhaltet wesentliche Verbesserungen der Fördersätze für die Bezuschussung der direkten und indirekten Weiterbildungskosten mit sich, der ganz große Wurf ist es allerdings nicht. Aus meiner Sicht wäre insbesondere bei der Definition der Betriebsgröße und der Mindeststundenzahl mehr Flexibilität nötig. Einige Gedanken hierzu habe ich Anfang des Jahres in einem Beitrag für die Zeitschrift Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP) zusammengefasst.
Natürlich müssen Mitnahmeeffekte vermieden werden. Aber warum lässt man den Arbeitsagenturen vor Ort nicht mehr Spielraum in den Entscheidungen darüber, ob auch eine Weiterbildungsmaßnahme mit weniger als 121 Stunden förderfähig ist und an welchem Fördersatz sich die Bezuschussung der Lehrgangskosten und des Arbeitsentgelts orientiert? Sie kennen den regionalen Arbeitsmarkt am besten und können einschätzen, welche Weiterbildungsmaßnahme dem Ziel der Bewältigung des Strukturwandels dienlich ist. Dies können auch Maßnahmen mit deutlich weniger als 121 Stunden sein, insbesondere wenn die Maßnahme eine Qualifizierung von Experten und Spezialisten (z.B. Entwicklungsingenieuren) beinhaltet. Die Maßnahme könnte auch innerbetrieblich ohne zertifizierten Träger durchgeführt werden, wenn Unternehmen und Betriebsrat den Nachweis erbringen, dass die Weiterbildung über die Vermittlung von betriebsspezifischem und arbeitsplatzbezogenem Wissen hinausgeht.
Die Definition der Betriebsgröße im Gesetz widerspricht der Wirtschaftsstruktur in Baden-Württemberg. Viele vermeintlich kleine Mittelständler, die mitten im Strukturwandel stecken, gehören in Wahrheit zu (Welt-) Konzernen und erhalten dadurch nur die Mindestförderung der Weiterbildungskosten und des Arbeitsentgelts. Auch hier wäre mehr Flexibilität wünschenswert. Neben der Beschäftigtenzahl am Unternehmensstandort könnte beispielsweise auch die Bedeutung des Unternehmens für den regionalen Arbeitsmarkt in die Entscheidung einbezogen werden, ebenso wie das Vorhandensein einer nachhaltigen Weiterbildungsstrategie.
Ambivalent stehe ich den unterschiedlichen Fördersätzen gegenüber, je nachdem ob im Unternehmen eine Vereinbarung über die berufliche Weiterbildung oder ein Tarifvertrag, der betriebsbezogen berufliche Weiterbildung vorsieht, vorliegt. Es ist selbstverständlich auch das Ziel der AgenturQ, dass möglichst viele Betriebsparteien eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnen bzw. unter einen Tarifvertrag fallen. Doch mit der Regelung werden indirekt kleine und mittelständisch geprägte Unternehmen und ihre Beschäftigte benachteiligt, da Betriebsvereinbarungen und langfristig angelegte Weiterbildungsstrategien eher in größeren Unternehmen zu finden sind, welche wiederum die Chance auf eine Weiterbildungsteilnahme erhöhen.
Letztlich wird der Erfolg des sogenannten Qualifizierungschancengesetzes auch nach der Novellierung davon abhängen, ob es für die Unternehmen genügend passgenaue Weiterbildungsangebote gibt, welche zudem die Fördervoraussetzungen erfüllen und aufgrund von Mindestteilnehmerzahlen auch stattfinden. Dies gilt insbesondere für die Weiterbildung von Experten und Spezialisten, die spezifische Qualifizierungsnotwendigkeiten haben.