In der vergangenen Woche wurde nach sechs Monaten Verhandlung die Nationale Weiterbildungsstrategie vorgestellt. Die Partner der Weiterbildungsstrategie bekennen sich in ihrem Strategiepapier zu dem Ziel, Weiterbildung in Deutschland so auszurichten, dass der Strukturwandel gelingt „- sowohl für jede und jeden Einzelnen als auch für die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt“. Heere Ziele, doch wenn man das Strategiepapier liest, muss man sich die Frage stellen, ob die verabredeten Maßnahmen tatsächlich dabei helfen werden, die bevorstehende Transformation der Arbeitswelt besser zu gestalten.
Altbekannte Ziele der Nationalen Weiterbildungsstrategie
Die Handlungsziele der Nationalen Weiterbildungsstrategie sind altbekannt: Transparenz von Weiterbildungsmöglichkeiten erhöhen, Förderlücken schließen, Weiterbildungsberatung vernetzen, die Verantwortung der Sozialpartner stärken, die Qualität von Weiterbildung stärken, erworbene Kompetenzen sichtbar machen, Fortbildungsabschlüsse entwickeln, Bildungseinrichtungen weiterentwickeln, das Personal in der Weiterbildung qualifizieren, und die strategische Vorausschau und die Weiterbildungsstatistik optimieren. Wenig neues also. Zudem umfasst das Papier viele Prüfaufträge und Absichtserklärungen. Das ist schade, denn eigentlich dürfen die anstehenden Probleme nicht auf die lange Bank geschoben werden.
Es hat sicherlich niemand erwartet, dass sich die Partner der Weiterbildungsstrategie auf ein gemeinsames Programm verständigen können, um die Hauptzielgruppen Migrant/innen, Ältere und Bildungsferne stärker an beruflicher Weiterbildung partizipieren zu lassen. Mit einer Erhöhung der Transparenz von Weiterbildungsmöglichkeiten, der Vernetzung der Weiterbildungsberatung oder der Weiterentwicklung von Bildungseinrichtungen ist es jedoch nicht getan. Diese Maßnahmen helfen denen, die ohnehin bereits an Weiterbildung partizipieren. Weiterbildungsferne müssen dagegen erst von der Sinnhaftigkeit von Weiterbildung überzeugt werden.
Gute Ansätze – aber schon längst in der Anwendung
Ich möchte das Strategiepapier der Nationalen Weiterbildungsstrategie nicht komplett kritisieren. Es enthält auch gute Ansätze, um Weiterbildungsferne von Weiterbildung zu überzeugen. Doch leider gibt es diese Ansätze schon lange und müssen deshalb nicht als Maßnahmen in eine nationale Weiterbildungsstrategie aufgenommen werden. Lernprozessbegleiter sind sicherlich das Mittel der Wahl, um bildungsferne oder ältere Kolleginnen und Kollegen von der Sinnhaftigkeit beruflicher Weiterbildung zu überzeugen. Doch die AgenturQ hat im Projekt wap bereits ein entsprechendes Konzept entwickelt, welches im aktuellen Projekt „Prospektive Weiterbildung für Industrie 4.0“ zum Lernprozessbegleiter 4.0. weiterentwickelt wird. Die IG Metall hat ein Konzept für betriebliche Weiterbildungsmentoren entwickelt und es ließen sich jetzt noch weitere Initiativen aufzählen. Man muss daher die Frage stellen, warum das BMBF eine neuerliche Initiative zur Lernprozessbegleitung am Arbeitsplatz fördern möchte. Das Geld könnte man auch für andere Maßnahmen ausgeben. Ein sinnvolles Anliegen ist sicherlich auch, informell erworbene Kompetenzen von Beschäftigten sichtbar zu machen. Aber auch hier liegen die Konzepte inklusive unserem Instrument AiKomPass längst auf dem Tisch.
Der Funken muss überspringen
Vielleicht tue ich der Nationalen Weiterbildungsstrategie auch unrecht. Möglicherweise ist der Funken übergesprungen und die beschriebenen zehn Maßnahmen werden jetzt mit viel Herzblut vorangebracht. Die Nationale Weiterbildungsstrategie wird sich an ihren Erfolgen messen lassen müssen. Nur Mut!
IG Metall: Anstrengungen in den Unternehmen
Dass es auch in den Unternehmen selbst mehr Anstrengungen bedarf, zeigen übrigens die Ergebnisse des Transformations-Atlas der IG Metall. Für den Atlas wurden knapp 2000 Betriebsräte gefragt, ob es für ihren Betrieb eine Strategie für die Bewältigung der Transformation bzw. der Umstellung auf E-Mobilität gibt. 43 % der Befragten gaben an, dass dies nicht bzw. eher nicht der Fall ist. Die Konsequenz für den IG-Metall Vorsitzenden Jörg Hoffmann lautet, dass Unternehmen die anstehenden Veränderungen offensiv angehen müssen. Nötig sei aus seiner Sicht eine vorausschauende Personalplanung und betriebliche Qualifizierung, um sicherzustellen, dass die Betriebe den Wandel bewältigen können. Berufliche Weiterbildung dürfe sich nicht mehr auf Spezialisten und Führungskräfte beschränken, alle Beschäftigtengruppen müssten die Chance bekommen, sich zu qualifizieren.
Prospektive Weiterbildung für Industrie 4.0
Einen Satz habe ich mir im Strategiepapier der Nationalen Weiterbildungsstrategie übrigens dick unterstrichen: „Das bedeutet auch, dass Menschen Weiterbildungschancen nicht erst dann nutzen sollten, wenn konkrete oder drohende Arbeitslosigkeit vorliegt, sondern dass sie frühzeitig und präventiv aktiv werden können.“ Dies setzt natürlich voraus, dass vorhandene und künftig (verstärkt) benötigte Kompetenzen systematisch erhoben werden müssen, um passgenaue Qualifizierungsangebote auszuwählen bzw. zu erarbeiten. Dies wurde letzte Woche so von Südwestmetall und anderen Verbänden als Maßnahme zur Zukunft des Automobilstandorts Deutschland formuliert.
Der zitierte Satz aus dem Strategiepapier entspricht unserem selbstgesteckten Arbeitsauftrag im Projekt „Prospektive Weiterbildung für Industrie 4.0“. Nach über zwei Jahren nähert sich das Projekt seinem Ende. Die nächsten Beiträge auf unserer Blogseite möchten wir daher dazu nutzen, Ihnen die Projektergebnisse näher zu bringen. Mehr Details wird es dann bei unserer Fachtagung und den regionalen Transferveranstaltungen geben, zu denen Sie sich sehr gerne noch anmelden können.
Am Ende dieses doch sehr kritischen Blogbeitrags möchte ich Sie zur Diskussion einladen. Sehr gerne können Sie ein Kommentar hinterlassen. Und ich mache mir mal darüber Gedanken, was aus meiner Sicht zehn Ziele einer Nationalen Weiterbildungsstrategie sein könnten. Denn kritisieren ist immer einfach, selber Vorschläge machen dagegen schon schwerer.