Immer wieder wird in Deutschland ein „Weiterbildungsdschungel“ beklagt, der es weiterbildungswilligen Personen erschwert, ein für sich passendes Qualifizierungsangebot zu finden. Selbiges gilt für Unternehmen, die nach speziellen Weiterbildungsangeboten für ihre Beschäftigten suchen. In der Tat: Der Weiterbildungsmarkt in Deutschland ist extrem unübersichtlich, es gibt eine auf den ersten (und auch auf den zweiten) Blick nicht überschaubare Anzahl von Akteuren mit unzähligen Angeboten. Aber handelt es sich tatsächlich um einen „Weiterbildungsdschungel“, der gelichtet werden muss? Oder in den Schneisen geschlagen werden müssen?
Nein, denn die unzähligen Angebote bilden auch die Vielfalt der beruflichen Weiterbildung mit einer Vielzahl von passgenauen Weiterbildungsangeboten ab, mit denen Weiterbildungsträger auf die individuelle Nachfrage von Beschäftigten und Unternehmen nach spezifischen Qualifizierungsangeboten reagieren. Insofern handelt sich bei der Weiterbildungslandschaft nicht um einen „Weiterbildungsdschungel“, sondern vielmehr – wir bleiben beim Vergleich mit der Pflanzenwelt – um einen großen „Obst- und Gemüsegarten“, der mit seiner Vielzahl von Obstbäumen, Beerensträuchern und Gemüsebeeten für jeden Geschmack etwas zu bieten hat. Es gilt diese Vielfalt wertzuschätzen und zu erhalten.
Der Garten will gepflegt sein
Der „Obst- und Gemüsegartens“ muss auch gepflegt werden. Obst und Gemüse müssen gewässert und rechtzeitig geerntet werden, das Unkraut gejätet und die Salate vor gefräßigen Raupen geschützt werden. Und natürlich muss man die Beete saisonal mit Pflanzen bestücken, die je nach Klima und Bodenbeschaffenheit auch gedeihen können. Zu guter Letzt muss man bei der Ernte aufpassen. Nicht immer erkennt man eine faule Frucht, manche Ernte kann auch ungenießbar sein.
So ähnlich verhält es sich mit dem Weiterbildungsmarkt. Auch wenn die Vielfalt gewollt ist, besteht wie in einem nicht gepflegten Obst- und Gemüsegarten eine gewisse Unübersichtlichkeit. Es ist daher die Aufgabe der Weiterbildungsträger, in ihre Programme nur solche Angebote aufzunehmen, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch zustande kommen bzw. geerntet werden. Der Samenkauf reicht alleine nicht. Ebenso müssen die überreifen oder fauligen Früchte rechtzeitig geerntet werden, d. h. die Programme müssen entschlackt werden. Eine Fortbildung zum Thema Additive Fertigungsverfahren, die im Jahr 2016 konzipiert wurde, entspricht höchstwahrscheinlich nicht dem Sachstand des Jahres 2021. Fortbildungen dürfen zudem nicht etwas versprechen, was sie nicht einhalten können. Eine Gurke ist keine Zucchini. Nichts ist schlimmer als eine Fortbildung, die aufgrund einer falschen Erwartungshaltung der Teilnehmenden zu Verdruss führt. Die Fortbildung muss zudem möglichst genau den Bedarf der Weiterbildungsinteressierten treffen. Wenn ich gerne Träubleskuchen esse, muss ich rechtzeitig Johannisbeeren anpflanzen. Und zu guter Letzt muss das Weiterbildungsangebot mit seiner Qualität hervorstechen und sich von anderen Qualifizierungen abheben. So wie die alten Obstsorten oder besonders resistente Gemüsesorten. Wenn man all dies und vieles mehr beachtet, steht einer guten Ernte nichts mehr entgegen.
Aber was hilft eine gute Ernte, wenn ich nicht weiß, welches Gemüse ich für das Familienessen mit der gesamten Verwandtschaft am kommenden Wochenende benötige – beziehungsweise welche Weiterbildungsinhalte ich für zukünftige berufliche Herausforderungen benötige. Hier kann ein Kochbuch weiterhelfen. Ein solches „Kochbuch“ möchten fast alle im Bundestag vertretenen Parteien laut ihren Wahlprogrammen nach der kommenden Wahl herausgeben.
Weiterbildungsplattformen als Kochbuch
Die FDP möchte die Vielzahl von Bildungsangeboten für das lebenslange Lernen von öffentlichen wie privaten Anbieterinnen und Anbietern transparent und strukturiert auf einer zentralen digitalen Plattform einsehbar machen. Diese digitale Bildungsarena soll den Zugang zu Weiterbildungen erleichtern. Die Grünen möchten Bildungsagenturen aufbauen, über die sich die relevanten regionalen Träger von Weiterbildung vernetzen. Dies soll einer verbesserten und gebündelten Beratung und Unterstützung dienen. Die SPD sieht diese Aufgabe bei den Agenturen für Arbeit, weshalb sie die Bundesagentur für Arbeit zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung umbauen möchte, die ein hochwertiges und individuelles Beratungsangebot gewährleisten soll. Und die CDU möchte eine nationale Bildungsplattform schaffen, die bestehende und neue digitale Bildungsplattformen zu einem bundesweiten und europäisch anschlussfähigen Plattform-System verknüpfen soll. Es geht ihr um ein passendes Angebot, das alle schnell finden und sicher nutzen können. Dahinter steckt das Konzept einer Lernplattform MILLA, die allen Bürgerinnen und Bürgern sämtliche neue und bestehende Weiterbildungsangebote bereitstellen soll. Mit MILLA wollen die Initiatoren in der CDU das Netflix der Weiterbildung schaffen.
Über den Tellerrand schauen
Aber ist das Prinzip von Netflix das Richtige, arbeitet der Anbieter doch mit einem Algorithmus aufgrund der Sehgewohnheiten, welche Serien und Filme mir gefallen könnten? Netflix blendet andere Angebote aus, dass sollte eine Weiterbildungsplattform nicht tun. Es geht doch darum, den Horizont zu erweitern und sich für neue Tätigkeiten zu qualifizieren. Man sollte Routinen verlassen und nicht die x-te Weiterbildung zum selben Thema machen. Schon heute und erst Recht in Zukunft gibt es einen großen Bedarf an IKT-Fähigkeiten. Insofern lohnt eine entsprechende Weiterbildung, auch wenn man zuletzt Weiterbildungen zu anderen Themen belegt hat. Um zur Sprache des Kochbuches zurückzukehren: Wenn ich Anhänger der schwäbischen Hausmannskost bin, kann sich auch der Blick in die israelische Küche lohnen. Und in der Kantine müssen es nicht immer Linsen mit Spätzle und Saitenwürste sein.
Welche Rezepte kommen ins Kochbuch?
Weiterbildungsplattformen sind prinzipiell eine richtige und gute Idee, allerdings scheint es gerade so, dass sich viele Akteure mit eigenen Plattformen auf den Weg machen, weshalb es in Zukunft nicht die eine Plattform geben wird. Entsprechend besteht die Gefahr, dass die Unübersichtlichkeit eher zu- anstatt abnimmt. Zumal es bereits funktionierende Plattformen wie fortbildung-bw.de gibt, die zwar hinsichtlich der Nutzerfreundlichkeit ein Update benötigen, aber grundsätzlich funktionieren. Da fühlt man sich gleich wie in einem Buchladen, wenn man von der Auswahl an Kochbüchern fast erschlagen wird. Und wer entscheidet eigentlich, welche Rezepte in das Kochbuch aufgenommen werden, sprich welche Weiterbildungsangebote auf der Plattform eingestellt werden? Werden nur AZAV-zugelassene Weiterbildungen eingestellt? Wie kann verhindert werden, dass große Weiterbildungsanbieter ein Übergewicht bekommen? Wer kuratiert das Angebot? Und vor allem: Wie wird gewährleistet, dass alle Personen, die aufgrund der Transformation der Arbeitswelt und den Veränderungen an ihrem Arbeitsplatz im besonderen Fokus der beruflichen Weiterbildung stehen (sollten), eine Weiterbildungsplattform auch nutzen können. Die Idee einer digitalen Bildungsarena klingt erstmal charmant, übersieht aber die Tatsache, dass viele Beschäftigte in der Produktion über keinen direkten PC-Zugang verfügen und vielen un- und angelernten oder auch älteren Beschäftigten die digitale Grundkompetenz zur Nutzung einer Online-Plattform fehlt. Von möglichen Sprachhürden ganz zu schweigen.
Und ein Problem bleibt am Ende sowieso bestehen. Wenn ich nicht kochen kann, bringt mir auch ein Kochbuch nichts. Wenn ich nicht weiterbildungsbereit bin, informiere ich mich nicht auf einer Plattform. Eine Weiterbildungsplattform wird daher vermutlich nur von jenen genutzt, die ohnehin weiterbildungsaffin sind. Aber auch sie haben nicht selten Schwierigkeiten, ihren zukünftigen Weiterbildungsbedarf zu identifizieren. Wenn ich gar nicht weiß, wofür oder wohin ich mich qualifizieren soll, ist es natürlich schwierig, ein passendes Weiterbildungsangebot zu finden. Dann wird schnell die Klage des „Weiterbildungsdschungels“ erhoben.
Aber wie beim Blick in das Kochbuch kann auch die Nutzung einer Weiterbildungsplattform die nötige Inspiration bieten.
Lernbegleiter:innen bieten den nötigen Kochkurs
Was kann getan werden, um die weniger weiterbildungsbereiten Mitarbeitenden für Weiterbildung zu gewinnen? Zusätzlich zum Kochbuch braucht es einen Kochkurs. Den können beispielsweise Lernbegleiter:innen im Unternehmen anbieten, indem sie berufliche Weiterbildung vorleben, auf die Wichtigkeit von Weiterbildung zur Sicherung der eigenen Beschäftigungsfähigkeit hinweisen, weniger geübte Kolleginnen und Kollegen bei der Bedienung von Weiterbildungsplattformen zur Hand gehen und sie im Lernprozess unterstützen. Dazu gehört die Auswahl des richtigen Rezepts, das Einkaufen der Zutaten, das gemeinsame Kochen und vielleicht auch das gemeinsame Essen.
Das Konzept der Lernbegleiter:innen ist schon alt und bewährt. Insofern kann man es vielleicht als schwäbische Hausmannskost bezeichnen. Wenn ich Ihnen mit diesem Beitrag nun Appetit gemacht habe, kann ich Ihnen für den Herbst als Beispiel aus der israelischen Küche Ofenkürbis mit Tahini und Za’atar empfehlen. Und wenn Sie als Betriebsrat oder Unternehmen auf der Suche nach neuen Rezepten für die betriebliche Weiterbildung sind, empfehlen wir Ihnen unser Ideenportal Qualifizierung als Kochbuch. Und im Rahmen ihrer Beratungsleistung gibt die AgenturQ auch gerne „Kochkurse“.