11. Oktober 2021  |  
Dr. Stefan Baron

Mit dem AiKomPass genau hinschauen und informelle Digitalkompetenzen sichtbar machen

Die Metall- und Elektroindustrie befindet sich mitten im Umbruch. Viele Tätigkeiten in den Unternehmen werden sich in naher Zukunft verändern oder sogar ganz entfallen. Dafür kommen neue Tätigkeiten hinzu, für die man häufig ITK-Kompetenzen benötigt. Diese sind auf dem Arbeitsmarkt nicht immer so einfach verfügbar. Nicht nur deshalb kann es sich lohnen, bestehenden Beschäftigten die notwendigen Digitalkompetenzen zu vermitteln. Eine Studie der Unternehmensberatung PWC hat gezeigt, dass dies sogar günstiger sein kann als die Neueinstellung von Beschäftigten mit den gesuchten Kompetenzen. Bei der Qualifizierung muss man auch nicht ganz von vorne beginnen. Denn viele Beschäftigte verfügen bereits über Digitalkompetenzen, auch wenn sie für das Unternehmen nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Auch wenn ihr Arbeitsplatz (noch) wenig digital ist, kann es ihr Privatleben sehr wohl sein. Vielleicht betreuen sie in ihrem Sportverein die Homepage oder haben in ihrem Zuhause Smarthome-Technologien verbaut. Und fast jede und jeder verfügt über ein mobiles Endgerät, googelt und nutzt Messenger-Dienste. Diese und andere Digitalkompetenzen gilt es sowohl für das Unternehmen wie auch für die eigene Beschäftigungsfähigkeit nutzbar zu machen. Hierfür müssen die zumeist informell erworbenen Digitalkompetenzen zunächst sichtbar gemacht und dokumentiert werden. Dies kann mit dem Instrument AiKomPass (AiKo =  Anerkennung informeller Kompetenzen) geschehen, das zu diesem Zweck im vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg geförderten Projekt AiKomPass-Digital um ein entsprechendes Modul erweitert wurde. Das Projekt läuft noch bis Ende des Jahres und befindet sich somit auf der Zielgeraden. Dieser Blogbeitrag möchte über den aktuellen Stand informieren.

Vorab – Was bietet der AiKomPass

Der AiKomPass hilft Beschäftigten aus der Metall- und Elektroindustrie damit, ihre oftmals verborgenen informellen Kompetenzen sichtbar zu machen. Dabei dokumentiert der AiKomPass nicht nur Ausbildungs- und Berufsstationen. Vielmehr gibt er Interessierten die Möglichkeit, Fähigkeiten aus dem Alltag zu dokumentieren, die man sich unbewusst angeeignet hat. Solche informellen Kompetenzen werden mit dem AiKomPass sichtbar gemacht. Die Nutzerinnen und Nutzer können aus einem Inventar konkrete Aufgaben auswählen, welche sie heute und in der Vergangenheit erfolgreich bewältigt haben oder bewältigen. Das Inventar umfasst im fachlichen Kontext Tätigkeiten aus den Bereichen Produktion, Instandhaltung, Entwicklung und Produktions- und Lagerlogistik. Außerdem umfasst es im überfachlichen Kontext eine Auswahl von Tätigkeiten, die Nutzerinnen und Nutzer typischerweise in der Freizeit bewältigen. Hier können zum Beispiel ehrenamtliche Tätigkeiten oder alltägliche Hobbies ausgewählt werden. Aus allen Angaben wird ein individuelles Profil erstellt, welches eine gute Gesprächsgrundlage für zukünftige Qualifizierungsgespräche mit dem Vorgesetzten sein kann.

Bald 10 Jahre alt – und immer noch aktuell

Der Startschuss zur Entwicklung des AiKomPass fiel im Juli 2012, also vor bald 10 Jahren. Schon damals wurde die Notwendigkeit erkannt, mehr über die informellen Kompetenzen der Mitarbeitenden zu erfahren. Seitdem wurde er beständig weiterentwickelt. Zuerst wurde er um die Möglichkeit ergänzt, auch in der Produktions- und Lagerlogistik informelle Fachkompetenzen sichtbar zu machen und zu dokumentieren, später im europäischen LabourINT Projekt um die Möglichkeit, ihn auch auf Englisch, Französisch, Italienisch und Schwedisch auszufüllen. Und schließlich startete im Oktober 2019 das Projekt AiKomPass-Digital mit dem Ziel, den AiKomPass um informelle Digitalkompetenzen zu erweitern. Wer hätte zum Projektstart gedacht, dass sich die Relevanz des Projekts in dieser Zeit so steigert oder anders ausgedrückt, dass das Thema so virulent wird. Digitale Kompetenzen waren zu Projektbeginn absehbar wichtige Zukunftskompetenzen, sei es durch die zunehmende Digitalisierung oder auch Entwicklungen in Richtung Industrie 4.0. Diese Entwicklung hat in den letzten eineinhalb Jahren einen wahren Auftrieb erlebt. Digitalisierung wurde durch die Corona-Krise wichtiger und alltäglich spürbar. Sei es beim mobilen Arbeiten oder in der Nutzung digitaler Anwendungen für Videokonferenzen etc. Es wurde deutlich, wie wichtig das Wissen um die eigenen digitalen Kompetenzen ist.

Herausforderung: Sichtbarmachung informeller Kompetenzen

Doch was sind Digitalkompetenzen und wie kann man sie entsprechend des Aufbaus des Instruments AiKomPass durch konkrete Tätigkeiten beschreiben? Und kann man eigentlich zwischen Digitalkompetenzen am Arbeitsplatz und solchen im Privatleben unterscheiden? Das waren die großen Fragen, die wir uns zu Beginn des Projektes stellten. Schnell war klar, dass digitale Kompetenzen sowohl fachliche wie auch überfachliche Komponenten beinhalten. Im Umgang mit digitaler Technik benötigt man zum Beispiel fachliches Anwendungswissen, wie wir es aus der Bedienungsanleitung oder durch Ausprobieren der Geräte gewinnen können. Durch die Digitalisierung werden aber auch überfachliche Fähigkeiten gefragt – zum Beispiel im Bereich der Kommunikation. Ein Gespräch findet nicht mehr nur synchron statt, sondern kann über Chats, E-Mail und anderen Plattformen asynchron stattfinden. Nun gilt es zu entscheiden, welches Kommunikationsmittel das geeignetste ist. Genauso wird auch eine gewisse Flexibilität und Offenheit verlangt. Alleine schon die rasante technologische Entwicklung macht es notwendig, sich stets auf neue Dinge einstellen zu können. Gerade die Zeit der Corona-Pandemie hat eindrucksvoll gezeigt, wie schnell sich die Arbeitswelt unter anderem durch die Virtualisierung von Arbeit verändern kann.

Bedienungsanleitungen lesen, Ausprobieren von Geräten, per Skype kommunizieren. Das tut man sowohl im Beruflichen wie auch im Privaten. Entsprechend wurde in der Projektarbeit deutlich, dass bei der Sichtbarmachung informeller Digitalkompetenzen eine Unterscheidung in private und berufliche Tätigkeiten nicht zielführend ist. Eine solche Trennung scheitert bereits daran, dass wir beruflich wie privat digitale Technik einsetzen (zum Beispiel schreiben wir E-Mails oder chatten wir nicht nur bei der Arbeit). Entsprechend konnte die Abfrage informeller Digitalkompetenzen nicht in die bestehende Struktur des Online-Tools AikomPass eingefügt werden, die ja zwischen einem fachlichen sowie einem überfachlichen Bereich unterscheidet und zusätzlich Sprach- und Computerkenntnisse sowie Tätigkeiten aus dem Freizeitbereich erfasst. Daher wurde sich im Projektverlauf dafür entschieden, die informellen Digitalkompetenzen in einem zusätzlichen und in sich geschlossenen Modul zu erfassen. Dies hat den Vorteil, dass der AiKomPass auch nur zur Abfrage informeller Digitalkompetenzen genutzt werden kann – beispielsweise von Beschäftigten mit Bürotätigkeiten oder auch von Personen, die nicht in der Metall- und Elektroindustrie beschäftigt sind. Es ist keine Voraussetzung des AiKomPass, dass alle Abfragefelder ausgefüllt werden müssen.

Für das zusätzliche Modul des AiKomPass wurden die informellen Digitalkompetenzen in unterschiedliche Felder und Bereiche aufgeteilt und werden von nun an in sieben Handlungsfeldern abgefragt:

  1. Produzieren (und digitale Inhalte erstellen)
  2. Organisieren & Kommunizieren
  3. Informieren
  4. Sichern
  5. Digital Lernen
  6. Digital Unterhalten
  7. Dienstleistungen nutzen

Gemeinsame Entwicklung  mit Partnern

Innerhalb dieser Handlungsfelder wurde eine große Anzahl verschiedenster Tätigkeiten definiert, die mit Hilfe digitaler Technik vollzogen werden. In der Entwicklung der Handlungsfelder und der dahinter liegenden Tätigkeiten wurden Inhalte der Berufsbildungsposition 5 „Digitalisierung der Arbeit“ der im Jahr 2018 modernisierten Ausbildungsordnungen in der Metall- und Elektroindustrie herangezogen. Zum anderen wurden die Beschreibungen der sogenannten Zusatzqualifikationen, wie zum Beispiel Programmierung, IT-Sicherheit oder Additive Fertigungsverfahren, auf konkrete Tätigkeitsbeschreibungen hin untersucht und mit aufgenommen. Das Gros der Arbeit am neuen Modul machte aber die Arbeit und der Austausch mit Partnern aus der Unternehmenspraxis aus – aufgrund der Corona-Situation vor allem virtuell in Workshops zu drei verschiedenen Themenschwerpunkten. In ihnen konnten sich Unternehmenspraktiker aus dreizehn Unternehmen über die Herausforderungen der Digitalisierung der Arbeit austauschen und so das Inventar digitaler Tätigkeiten des AikomPass ergänzen. Hervorzuheben ist schließlich die enge Kooperation mit dem Projekt IT:D der Nachwuchsstiftung Maschinenbau und der IG Metall: Gemeinsam mit den beteiligten Ausbilderinnen und Ausbildern aus Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie konnte in einem Workshop ein Katalog digitaler Tätigkeiten entwickelt werden, die für ihre Praxis besonders relevant sind.

Auf der Zielgeraden – neue Funktionen des AiKomPass

Nach zwei Jahren Entwicklungszeit wagen wir uns aus der Deckung und präsentieren im Rahmen unseres Thementages Zukunftskompetenzen am 25. Oktober 2021 den überarbeiteten AiKomPass. Zukünftig haben Nutzerinnen und Nutzer nicht nur die Möglichkeit, ihren beruflichen Werdegang sowie ihre fachlichen und überfachlichen Kompetenzen zu erfassen. Mit der Erweiterung um die Erfassung digitaler Kompetenzen können nun auch ihre informellen Kompetenzen im Umgang mit digitaler Technik sichtbar gemacht werden. Zudem können Nutzerinnen und Nutzer nun auswählen, in welchen Handlungsfeldern sie digitale Technik nutzen und werden dann durch das Inventar verschiedenster digitaler Tätigkeiten geleitet. Am Ende steht ihre Erkenntnis, wie digital sie bereits heute den Alltag gestalten. Sie erhalten eine Auflistung all ihrer digitalen Tätigkeiten und können mit dieser Reflektion des eigenen Handelns für sich Aufschluss über ihre digitalen Kompetenzen gewinnen. Sie erhalten ein individuelles Profil, welches sie wahlweise als PDF oder als Excel-Datei abspeichern können. Mit diesem können Sie das (Qualifizierungs-) Gespräch mit ihren Vorgesetzten oder anderen Personal- bzw. Weiterbildungsverantwortlichen suchen, um ihre von Seiten des Unternehmens möglicherweise bisher unentdeckten digitalen Fähigkeiten mit dem zukünftigen Kompetenzbedarf des Unternehmens abzugleichen. Hieraus können möglicherweise Perspektiven auf neue Tätigkeiten und/oder weiterführende Qualifizierungsmaßnahmen abgeleitet werden.  Gerade in Hinblick auf die weitere Entwicklung der Digitalisierung und den dadurch sich verändernden Arbeitsaufgaben macht es Sinn, auf bestehende Fähigkeiten aufzubauen.

Roll-Out des überarbeiteten AiKomPass am 25. Oktober 2021

Haben wir Sie neugierig gemacht?
Etwas müssen Sie sich noch gedulden, aber am 25. Oktober ist es dann soweit. Im Rahmen des Thementages Zukunftskompetenzen werden wir den überarbeiteten AiKomPass vorstellen. Ab diesem Tag steht Ihnen das neue Modul zur Erfassung informeller Digitalkompetenzen unter der bekannten Internetadresse www.aikompass.de zur Verfügung. Freilich können Sie die Wartezeit nutzen, um sich schon vorab einen Überblick über die anderen Module des AiKomPass zu verschaffen. Und nach dem 25. Oktober stellen wir Ihnen im Rahmen von virtuellen Workshops den überarbeiteten AiKomPass und seine Nutzungsmöglichkeiten gerne auch im Detail vor. Wenn Sie mögen, auch bei sich vor Ort im Unternehmen bzw. Ihren Netzwerktreffen. Sprechen Sie uns an!