4. August 2022  |  
Gastbeitrag

Qualifizierung in den Betrieben in unsicheren Zeiten stark machen – wir packen es an

Die politische Lage ist hinlänglich beschrieben und die damit einhergehende krisenhafte Unsicherheit mittlerweile (fast) zum Alltag geworden. Die Herausforderung lautet: Qualifizierung in Zeiten der Unsicherheit. Brechende Lieferketten, eine unsichere Energieversorgung, Klimaschutzziele sowie Personalausfall infolge Corona fordern die Industrieunternehmen und die Beschäftigten. Und ganz nebenbei gilt es, die Transformation voran zu bringen sowie den Fachkräftemangel aufzufangen. Trotz oder genau deswegen brauchen wir Qualifizierung: damit Beschäftigte, die die unsicheren Zeiten mittragen, Wertschätzung erfahren, an die Unternehmen gebunden werden und bestmöglich mit Veränderungen umgehen können. Langfristig bedeutet es: Fachkompetenz stärken und so die Qualität und Innovationskraft der Industrieproduktion in Baden-Württemberg erhalten.

Wir sind daher sozialpartnerschaftlich gefordert, die Zukunftsaufgabe Qualifizierung trotz und mit den Krisen in Unternehmen zu vereinbaren. Das bedeutet konkret: Qualifizierung in Kurzarbeit und Zukunftsvereinbarungen, Zukunftskompetenzen (v)ermitteln sowie die Mobilisierung und Unterstützung der Beschäftigten für Qualifizierung.

Qualifizierung in Kurzarbeit und Zukunftsvereinbarungen – im Schulterschluss mit der der Agentur für Arbeit

Krisenzeiten sind auch Zeiten für Kurzarbeit – ein Arbeitsmarktinstrument, das den Betrieben in den letzten Jahren enorm geholfen hat. Kurzarbeit kann und soll für Qualifizierung genutzt werden. Doch das wurde bislang kaum realisiert. Das zeigen uns Umfragen in der IG Metall aber auch die Ergebnisse aus dem DGB-Index zur Kurzarbeit in der Pandemie. Hier gilt es konzeptionell stärker vorzuarbeiten. Also die Qualifizierungsplanung entsprechend flexibel vorzubereiten. Ein weiteres Instrument zur Zukunftssicherung sind Zukunftstarifverträge bzw. Zukunftsvereinbarungen. Auch hier gilt es, das Thema Qualifizierung aufzunehmen, die sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit festzulegen sowie mit Geld zu hinterlegen (Qualifizierungsfonds).

Bei beiden Themen kann die Agentur für Arbeit beraten und finanziell unterstützen – bevor der Härtefall Krise im Betrieb entsteht. Durch die neuen Beratungsstrukturen „Berufsberatung im Erwerbsleben“ ist die Agentur für Arbeit nun auch besser gerüstet, um die Beratungsleistung direkt für Beschäftigte (und Betriebsräte) anzubieten. Vor diesem Hintergrund diskutieren die IG Metall Baden-Württemberg und die Regionaldirektion derzeit eine Kooperationsvereinbarung, um die Arbeit von Gewerkschaft und Betriebsräten für die Beschäftigten noch besser mit der Agentur für Arbeit zu koordinieren.

Zukunftskompetenzen (v)ermitteln – Weiterbildung konkret machen

Neben dem kurzfristigen Krisenblick geht es zudem um den mittelfristigen Blick auf die Potenziale in den Betrieben. IG Metall und Südwestmetall als Sozialpartner, gefördert durch das Wirtschaftsministerium, haben mit der AgenturQ die Studie „Future Skills“ für die Industrie in Baden-Württemberg angestoßen, die nun vorliegt. Sie ist Anker und gibt Anregung für die Betriebspartner in Unternehmen, daraus für sich konkrete betriebliche Anforderungen zu reflektieren und dies entsprechend in die strategische Personalentwicklung zu übersetzen. Das Interesse daran ist an vielen Stellen groß – es war also offensichtlich ein richtiger Schritt. Klar ist aber auch, dass wir da nicht stehen bleiben können. Es gilt nun, die Zukunftskompetenzen mit den betrieblichen Bedarfen zu spiegeln und mit ganz konkreter Weiterbildung zu verknüpfen. Das kann sowohl in arbeitsplatznahen Bausteinen, bei externen Weiterbildungsanbietern oder betriebsinternen Seminaren stattfinden. Dazu wollen wir im Herbst mit der AgentruQ ein Projekt starten, mit dem praktische Weiterbildungsbausteine für Zukunftskompetenzen entwickelt werden.

Darüber hinaus verfolgen wir einen weiteren regionalen Ansatz. Neben den allgemeinen Zukunftskompetenzen, stehen wir mit der Automobil(zuliefer)industrie in Baden-Württemberg vor der Herausforderung, den strukturellen Umbau zur Elektromobilität zu bewältigen. Vor diesem Hintergrund haben wir uns als IG Metall Baden-Württemberg an der Entwicklung von (geförderten) Netzwerkprojekten im Rahmen des Zukunftsfonds Automobil der Bundesregierung aktiv beteiligt und sehen uns, insbesondere im Bereich der Qualifizierung, als aktiven Part in der strategischen Begleitung der Arbeitnehmerseite und Betriebe. Hier gibt es die ersten Förderbescheide und im Herbst werden regionale Strukturen aufgebaut, die uns bei dem Thema weiter voranbringen werden. Es gilt hier, die industriellen Potenziale in den Regionen zu halten – und dazu wird Kompetenzentwicklung einen wichtigen Beitrag leisten.

Beschäftigte beteiligen und begleiten – gewerkschaftliche Kernkompetenz

Es ist eine Sache, die strukturellen Weiterbildungsmöglichkeiten strategisch gut aufzustellen – aber es geht auch um Menschen (Subjekte), die sich Wissen aneignen wollen bzw. sollen. Damit das passiert, müssen sie einen persönlichen Nutzen (z.B. Perspektiven durch Laufbahnplanung, Beschäftigungssicherung, Handlungssicherheit, Anerkennung) für sich erkennen können, aber es gilt auch individuelle praktische Hindernisse (z.B. fehlende Zeit/ fehlende Zustimmung Führungskraft/ fehlender Email-Account) zu beseitigen.

Eine immer wieder anzutreffende Meinung in den Betrieben ist: Wenn sie wollten, könnten sie … Aber können sie wirklich? Betriebsräte und die IG Metall fragen da an verschiedenen Stellen in der Belegschaft nach, in interaktiven Betriebsversammlungen, bei Umfragen, BR-Sprechstunden usw. Und das Ergebnis ist: durchwachsen. Es reicht vom fehlenden Zugang auf die Lernplattform über fehlende Weiterbildungsangebote bis hin zu Führungskräften, die aufgrund von Personalengpässen den Beschäftigten keine Weiterbildungszeit einräumen können. Was wir nicht finden: Beschäftigte, die sich jeder Weiterentwicklung verweigern, wenn sie damit ihre Zukunft sichern können (vgl. Beschäftigtenbefragung der IG Metall 2020) Es gibt damit immer wieder Herausforderungen und Ansätze, die wir im Betrieb angehen und gemeinsam Lösungen entwickeln können.

Einen Beitrag dazu werden in Zukunft die Weiterbildungsmentor*innen der IG Metall leisten können. Sie übernehmen eine Lotsenfunktion, um Kolleg*innen zu Weiterbildungsfragen zu beraten und arbeiten an der strategischen Ausrichtung der betrieblichen Weiterbildung aktiv mit.

Die IG Metall hat, gefördert durch das Bundesbildungsministerium, die Ausbildung zur/m „Weiterbildungsmentor*in“ bundesweit aufgesetzt und in 2022 werden bereits gut 100 Weiterbildungsmentor*innen ausgebildet werden – in Baden-Württemberg sind es schon rund 30 mit steigender Tendenz. Die Teilnehmenden werden nach ihrer Ausbildung weiter durch die IG Metall und in einem Netzwerk begleitet (und weitergebildet) und damit können wir neue oder veränderte Herausforderungen im Betrieb angehen. So werden Strukturen für die Beteiligung und Begleitung der Beschäftigten geschaffen, die einerseits als Lotsen Hilfestellungen geben, andererseits auch vorhandene Hindernisse praktisch angehen.

Gut gerüstet für die Zukunft? In jedem Fall!

Wir wissen nicht, was noch kommen wird – aber wir bauen auf breiter Linie unsere Kompetenzen und Handlungsansätze als Gewerkschaft für Qualifizierung aus. Hier sehen wir uns an vielen Stellen durch die Sozialpartnerschaft gestärkt. Partner finden wir auch in der Wissenschaft, in der Politik, der Agentur für Arbeit und nicht zuletzt in unseren aktiven Mitgliedern. Ganz nach dem Motto: „Es gibt nur eins was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.“ (John F. Kennedy)

Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, ist Vorstand der AgenturQ

Claudia Dunst, Gewerkschaftssekretärin bei der IG Metall Bezirksleitung Baden-Württemberg, ist Mitglied der AgenturQ