Berufliche Kompetenzen sind eine Währung auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem und beeinflussen unseren gesellschaftlichen Status. Sind sie in Qualifikationen und anerkannten Zertifikaten bescheinigt, ist ihr Wert offenkundig. Doch was ist mit den Kompetenzen, die darüber hinaus durch Berufstätigkeit, selbstorganisiertes Lernen oder in ehrenamtlichen Aktivitäten erworben wurden?
Die Lernhaltigkeit von Arbeit und die Bedeutung von Erfahrungen für den Erwerb von Kompetenzen sind in Deutschland grundsätzlich unstrittig. Doch im Zusammenhang mit der Debatte um das lebenslange Lernen und den beschäftigungs- und bildungspolitischen Aktivitäten der EU seit Mitte der 1990er Jahre ist die Herausforderung, erworbene Kompetenzen anzuerkennen, stärker in den Blick geraten. Begriffe wie „lebenslanges“ und „lebensweites“ Lernen stehen für diese Entwicklung.
Welche Formen der Anerkennung gibt es?
Lernleistungen können im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt und im Betrieb auf vielfältige Art anerkannt werden (siehe Abbildung). Sowohl der Umfang, also die inhaltliche Breite als auch die Verbindlichkeit unterscheiden sich.
Verfahren, die zur Anerkennung erworbener Kompetenzen führen, umfassen mehrere Phasen. Am Anfang steht die die „Identifizierung“ von Kompetenzen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen, zu Hause, am Arbeitsplatz und durch ehrenamtliche Tätigkeit, erworben wurden. Schon die Entdeckung und verstärkte Sensibilisierung für die eigenen Fähigkeiten ist „ein wertvolles Ergebnis des Validierungsprozesses“ (CEDEFOP 2016, S. 18), das voraussetzt, die Identifizierungsphase nicht zu eng an vorgegebenen Normen und Kriterien zu orientieren.
In der Phase der „Dokumentierung“ sind die identifizierten Kompetenzen nachzuweisen, zum Beispiel durch schriftliche Dokumente, Arbeitsproben oder praktische Demonstrationen. Zusammen mit einem Lebenslauf sollten diese Nachweise in einem Portfolio zusammengefasst werden.
In der „Bewertungsphase“ werden Lernergebnisse, die in den vorherigen Phasen dokumentiert oder in der Bewertungsphase erfasst wurden, mit Bezugspunkten, wie persönlichen Zielen, betrieblichen Anforderungen oder Bildungsstandards abgeglichen. Im Unterschied zum formalen Bildungssystem sollten Methoden zur Bewertung nichtformalen und informellen Lernens so konzipiert sein, „dass sie das spezifische Lernen jedes Einzelnen und den Zusammenhang, in dem dieses Lernen stattgefunden hat, erfassen und bewerten können“. Das heißt die Methoden sollen die besonderen individuelle Bedürfnisse berücksichtigen (CEDEFOP 2016, S. 20).
Je nach Zielsetzung des Verfahrens werden die einzelnen Schritte unterschiedlich gewichtet und unterliegen unterschiedlichen Anforderungen (vgl. CEDEFOP 2016, S. 16).
Anerkennungsverfahren im Bildungssystem beziehen sich auf etablierte Standards wie Aus- und Fortbildungsordnungen und Curricula und können verschiedene Phasen eines Bildungsgangs adressieren:
- den Zugang zu Bildungsgängen,
- die inhaltliche und zeitliche Anrechnung auf Bildungsgänge,
- den Zugang zu Prüfungen und
- die Vergabe von Zertifikaten.
Anerkennung in der Ausbildung
In der dualen Berufsausbildung ist eine zeitliche Anrechnung erworbener Kompetenzen durch Vereinbarung bei Vertragsabschluss und als Abkürzung während der Berufsausbildung möglich. Als Gründe gelten neben der Berücksichtigung von Schul- oder Berufsabschlüssen „einschlägige Berufstätigkeit oder Arbeitserfahrung im Berufsfeld“ (Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung 2008, S. 2). Eine inhaltliche Anrechnung informellen Lernens in Form von Modulen oder Leistungspunkten ist wegen des Grundverständnisses der Ganzheitlichkeit beruflichen Handelns in der Berufsausbildung nicht möglich. Das etablierte Europäische Leistungspunktesystem für die Berufsausbildung (ECVET) verfolgt das Ziel der „Anrechnung, Anerkennung und Akkumulierung von Lernergebnissen, die eine Einzelperson in formalen, nicht-formalen und informellen Zusammenhängen erzielt hat“ (Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Leistungspunktesystems für die Berufsbildung (ECVET) vom 18.06.2009). Seine Gestaltungsprinzipien werden in Deutschland daher lediglich für die Dokumentation von Lernaufhalten im Ausland genutzt.
Für die duale Berufsausbildung in Deutschland gibt es mit der sogenannten Externenprüfung ein etabliertes Instrument für den Zugang zur Abschlussprüfung. Personen, die auf diesem Weg zugelassen werden, unterliegen der gleichen Leistungsfeststellung wie reguläre Auszubildende. Sie erhalten dafür ein Zertifikat, dem man den Zulassungsweg nicht entnehmen kann.
Bei der Entscheidung über die Zulassung sind Umfang und Dauer der Berufserfahrung im Allgemeinen die entscheidenden Kriterien. Eine Zertifizierung oder Anrechnung nachgewiesener Lernergebnisse, wie sie im Projekt VALIKOM praktiziert wird, findet jedoch nicht statt. Untersuchungen des BIBB (Velten & Herdin 2016, S. 23, 34 und Gutschow & Jörgens 2017, S. 15) legen nahe, dass in Deutschland ein Validierungsverfahren wie VALIKOM, das zur Feststellung voller oder teilweiser Gleichwertigkeit mit Abschlüssen der beruflichen Aus- oder Fortbildung dient, im Gegensatz zur Vergabe eines formalen Abschlusses als Ergebnis einer Validierung, hohe Akzeptanz bei den Akteuren der beruflichen Bildung findet.
Betriebliche Anerkennung
Auf dem Arbeitsmarkt bzw. im Berufsverlauf zeigt sich die Anerkennung von Kompetenzen insbesondere
- im Einstellungsverfahren,
- bei der Entlohnung und
- in den Positionen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erreichen.
Betriebe setzen Verfahren und Instrumente zur Identifizierung und Anerkennung bisher größtenteils punktuell sowie für bestimmte Beschäftigtengruppen ein, zum Beispiel im Einstellungsverfahren und in der Personalentwicklung. Neben fachlichen Kompetenzen haben in Assessment-Verfahren oder psychometrischen Tests, die in der betrieblichen Personalarbeit verwendet werden, soziale und personale Kompetenzen, über die formale Qualifikationen bisher wenig Auskunft geben, einen hohen Stellenwert.
Werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Positionen beschäftigt, für die grundsätzlich eine bestimmte Qualifikation erforderlich ist, ohne über diesen Abschluss zu verfügen, so haben sie diese Position in der Regel über Berufserfahrung, hohe Motivation und Lernfähigkeit erreicht, was eine Form betrieblicher Anerkennung darstellt.
Problematisch an betrieblichen Formen der Anerkennung erworbener Kompetenzen ist ihre geringe zwischenbetriebliche Übertragbarkeit, zumal traditionelle Nachweise wie betriebliche Arbeitszeugnisse wegen ihrer starken Reglementierung nur bedingt aussagekräftig sind.
Andere Verfahren der Anerkennung
Darüber hinaus werden zahlreiche Verfahren angeboten, die insbesondere der persönlichen Standortbestimmung dienen und die mehr oder weniger stark an Standards des Bildungssystems oder der Arbeitswelt orientiert sind. Diese Verfahren werden auch als „entwicklungsorientiert“ bezeichnet. Sie fokussieren auf das Individuum. Beratungs- und Orientierungsfunktionen stehen im Vordergrund. Die Mehrzahl von Bildungspässen ist in diesem Bereich anzusiedeln.
Anforderungsorientierte Verfahren hingegen sind an gegebenen Standards des Bildungssystems, eines betrieblichen Anforderungskatalogs oder betriebsübergreifender Kompetenzraster orientiert. Der Abgleich mit einem Standard erfolgt in der Regel summativ. Formative Elemente, die den Lernprozess unterstützen, können aber im Verlauf des Anerkennungsprozesses eine Rolle spielen
Der AiKomPass ist nach dieser Unterteilung ein Verfahren, dass anforderungs- und entwicklungsorientierte Elemente kombiniert. Anforderungen typischer Arbeitsplätze einer Branche werden abgebildet und die Dokumentation erworbener Kompetenzen im Hinblick auf diese Profile ermöglicht. Er erweitert den Blick aber über diese speziellen fachlichen Anforderungen hinaus, spricht überfachliche, und als AiKomPassDigital zukünftig auch digitale Kompetenzen an.
Literatur:
CEDEFOP (2016). Europäische Leitlinien für die Validierung nicht formalen und informellen Lernens. Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union.
Gutschow, K. & Jörgens, J. (2017). Kompetenzen anerkennen: Szenarien für Deutschland aus Expertensicht. Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 6, 11-15.
Velten, S. & Herdin, G. (2016). Anerkennung informellen und non-formalen Lernens in Deutschland. Ergebnisse aus dem BIBB-Expertenmonitor Berufliche Bildung 2015. Bonn, Bundesinstitut für Berufsbildung.
Ein Gastbeitrag von Katrin Gutschow
Katrin Gutschow arbeitet beim Bundesinstitut für Berufsbildung und dort in der Abteilung „Struktur und Ordnung der Berufsbildung“. Außerdem begleitet Sie das Projekt AiKomPassDigital als Mitglied des Projekt-Beirats.