Interview – 2020-3

Die Zukunft

beginnt mit

Qualifizieren


Im Interview

Mit Dirk Werner, Leiter des Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung beim Institut der deutschen Wirtschaft, und mit Christian Goldschmidt, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender und heute Berater am IMU Institut, haben wir ein Interview geführt zur Frage: Weiterbildung in KMU – ein hoffnungsloser Fall? Lesen Sie hier Auszüge daraus:

AQ: Herr Werner, ist Weiterbildung ein hoffnungsloser Fall?

Dirk Werner: Bei unseren Weiterbildungserhebungen kommt heraus, dass 84 Prozent der kleinen Unternehmen Weiterbildung machen. Wenn man das informelle Lernen, also das Lernen im Prozess der Arbeit und das selbstgesteuerte Lernen mit Medien berücksichtigt, dann sieht es also gar nicht schlecht aus. Das liegt daran, dass in KMU häufig der einzelne Mitarbeiter, die einzelne Mitarbeiterin, stärker im individuellen Blick ist.

AQ: Herr Goldschmidt, was sagen Sie? Ist Weiterbildung in KMU ein hoffnungsloser Fall?

Christian Goldschmidt: Ich sehe es nicht als hoffnungslosen Fall. Aber: Eine strategische Weiterbildung sehe ich sehr oft nicht. Da fehlen die Zeit und die Ressourcen. Natürlich müssen immer auch die Menschen motiviert sein. Wenn wir irgendetwas machen, wo sie sagen „Da können wir gar nichts damit anfangen“, dann wird intrinsisches Lernen nur schwerlich stattfinden.

AQ: Wie könnten denn KMU trotz fehlender Ressourcen Ziele für die Weiterbildung festlegen? Muss man die Kapazitäten aufbauen?

Goldschmidt: Aus meiner Sicht muss man genau das tun. Es muss aber ein Miteinander sein aus der Abteilung, die natürlich die Bedarfe kennt und der Personalabteilung, die dabei unterstützt.

AQ: Wo sollte denn die Hauptverantwortung für die Organisation von Weiterbildung liegen?

Dirk Werner: Ich glaube, es muss klar gewollt werden, dass das zur Unternehmensstrategie gehört und ist damit eine Aufgabe der Unternehmensführung. Wenn man Weiterbildung dann macht, wenn nichts zu tun ist, dann macht man sie nie. Weiterbildung muss Priorität haben und es hat auch mit der Haltung zu tun. Will ich in die Zukunft investieren? Dann schaffe ich es auch, Weiterbildung zu organisieren. Konkrete Vorbehalte, etwa wenn es ums digitale Lernen geht, lassen sich ausräumen. Es gilt, Mitarbeiter mitzunehmen, in kleinen, konkreten Schritten anzufangen und erste Erfolgserlebnisse zu feiern. Bei der Umsetzung sind dann alle gefordert.

Christian Goldschmidt: Ich sehe das immer als System, mit interagierenden Akteuren – und da haben alle ihren Teil dazu beizutragen.  Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis, dass wenn wir so weitermachen, wie die letzten 40 Jahre, die Zukunft natürlich nicht zu gestalten ist.
Ein Interessenskonflikt liegt im Anspruch der Beschäftigten „Ja, dann müsste ich doch mehr Geld verdienen, wenn ich mehr kann“. Da wird der Arbeitgeber dann oft defensiv. Weiterqualifizierung nur durch Entgelt attraktiv zu machen, finde ich zu wenig. Aus meiner Sicht braucht es mehr Struktur bei all diesen Themen. Die Personalabteilung und die Führungskräfte vor Ort sollten wirklich die Zeit bekommen, alles unter einen Hut zu bekommen.

Dirk Werner: Da möchte ich ergänzen, dass die Beschäftigungsfähigkeit auf Dauer verloren geht, wenn ich keine Weiterbildung mache über die Jahre. Hier muss auch das Unternehmen unterstützen und kontinuierliche Angebote machen. Weiterbildung ist etwas, was permanent passieren und gelebter Alltag sein sollte.

AQ: Viele Unternehmen haben die Befürchtung, dass Mitarbeitende, denen eine Weiterbildung ermöglicht wird, als nächstes weg sind.

Dirk Werner: Bei umfangreicheren Weiterbildungen ist es ja ohnehin so, dass das nicht komplett in der Arbeitszeit und rein arbeitgeberfinanziert stattfindet. Hier helfen vor allem Karrierepfade und Perspektiven im Unternehmen. Gegen die Abwanderung helfen auf Dauer Bindungs- oder Rückzahlungsklauseln alleine auch nicht weiter. Es muss einfach gelebte Unternehmenskultur sein, dass Mitarbeiter sich weiterbilden. Dann habe ich auch genug qualifizierte Talente, wenn mal einer geht. Oft ist es dann auch so, dass Mitarbeiter wiederkommen. Außerdem gilt: Wenn jemand unzufrieden ist und ich unterstütze seine Fortbildung nicht, wird er wahrscheinlich auch gehen. Von daher ist das auch wieder keine Alternative.

AQ: Sind Formate wie E-Learning und Blended Learning, selbstgesteuertes Lernen ein Weg, der KMU substanzielle Chancen eröffnet?

Dirk Werner: Ja, unbedingt! Weil gerade diese Lernformen den großen Vorteil haben, dass ich sie zeit- und ortsunabhängig nutzen kann. Es wurde ja schon angesprochen: Zeit ist aus Sicht der Unternehmen – übrigens auch aus Sicht der Beschäftigten – immer noch das Hauptargument, warum keine oder zu wenig Weiterbildung stattfindet. Daher hilft es sehr, die Weiterbildung in kleinere Einheiten zu packen. Wenn ich das sinnvoll und intelligent kombiniere mit einer Erhebung der benötigten Kompetenzen, dann kann ich passgenau die Qualifizierungen anbieten, die im Job auch gebraucht werden.

Christian Goldschmidt: Der Mix macht es. Wir sind in der Corona-Zeit immer wieder an Punkte gekommen, wo wir gesagt haben: Jetzt müssen wir präsent – wirklich alle – vor Ort sein und das nochmal besprechen. Aber wenn es hilft, Menschen wieder stärker in Lernsituationen einzubinden, indem ich ihnen sage: „Du musst nicht die ganze Zeit irgendwo in Veranstaltungen sitzen, sondern wir teilen das auf“, dann bin ich da absolut dafür. Wir sollten auch unsere Kunden fragen, was sie denn brauchen und wie sie lernen wollen.

AQ: Ist denn bei KMU die Offenheit da, was Neues auszuprobieren

Dirk Werner: Die Corona-Pandemie war ein absoluter Treiber für das Thema Blended Learning und E-Learning. Viele Unternehmen probieren jetzt einfach mal was aus. Von daher denke ich schon, dass wir aus dieser Zeit mitnehmen werden: es funktioniert ja doch. Und: Lass uns mal überlegen, ob wir vielleicht den Mix an Weiterbildung ein bisschen in diese digitale Richtung weiterentwickeln.

Christian Goldschmidt: Ich sehe hier auch den Betriebsrat als Akteur. Er hat im betrieblichen Alltag als gewählter Arbeitnehmervertreter einen ganz anderen Zugang und kann wirklich bei den Menschen direkt vor Ort sein. Er sollte mit dazu beitragen, dass alle gut aufgestellt sind für die Zukunft. Wenn alle Hand in Hand zusammenarbeiten – die Betriebspartner, die Tarifpartner, die Berufsschulen – dann kann da was entstehen.

AQ: Zum Abschluss die Frage an Sie Herr Werner: Was läuft schon gut bei KMU und was sind Ihre Wünsche für die Zukunft der Weiterbildung in KMU?

Dirk Werner: Ich finde, dass es im Durchschnitt gut läuft. KMU haben den Vorteil familiärer, individueller, persönlicher in der Zusammenarbeit zu sein. Unsere Erhebungen zeigen, dass – gemessen pro Kopf – das Weiterbildungsbudget in kleinen Unternehmen im Durchschnitt sogar größer ist, als in großen.
Was noch Entwicklungspotenzial hat, ist, Weiterbildung in KMU systematischer, regelmäßiger, nachhaltiger zu organisieren. Sie sollte auch stärker in die Unternehmensstrategie eingebunden werden. Daraus leitet sich grundsätzlich immer ein Personal- und ein Qualifizierungsbedarf ab. Den gilt es frühzeitig umzusetzen und nicht dann zu reagieren, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Das würde ich mir wünschen: Dass KMU Weiterbildung mit mehr Vorausschau und Nachhaltigkeit betreiben.

AQ: Herr Goldschmidt, wie ist es bei Ihnen? Was sehen Sie schon als positiv bei der Weiterbildung in KMU und was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?

Christian Goldschmidt: Ich sehe positiv, dass die KMUs im Vergleich zu den Großkonzernen wesentlich flexibler sind. Ich würde mir wünschen, dass die KMUs – aber das ist ein hehrer Wunsch – nicht so stark in der Abhängigkeit sind von den Großkonzernen. Die Gefahr ist natürlich, dass gut Ausgebildete abgegriffen werden von den größeren Unternehmen. Das ist so ein bisschen das Problem, in dem die KMU sind. Ich glaube, genau deshalb müssen sie auch weiterhin attraktiv sein, damit diese Abwanderung nicht automatisch stattfindet.

Herzlichen Dank an Dirk Werner und an Christian Goldschmidt. Das war unser Gespräch zur Frage: „Weiterbildung in KMU – ein hoffnungsloser Fall?“ mit einer hoffnungsvollen Antwort.

Das vollständige Interview zum Nachhören und Nachschauen finden Sie in unserer Mediathek und auf unserem YouTube-Kanal.