4. Februar 2022  |  
Hans Hooss

Innovationstreiber Personalabteilung und Betriebsrat?

Es war im letzten Jahr. Ich war auf einer Konferenz im Haus der Wirtschaft. Karlheinz Pape, Gründer der Corporate Learning Community, hielt einen Vortrag. Und dann fiel dieser Satz. Dieser Satz, der mich seither nicht mehr loslässt. Sinngemäß: „Innovationen in der Bildung kommen in der Regel aus anderen Bereichen, aber nicht aus der Bildung selbst.“
Paff!
Recht hat er, dachte ich bei mir. Wo sind denn die Innovationstreiber in den Unternehmen? Wie oft erleben auch wir bei der AgenturQ, dass Fachbereiche Qualifizierungsinitiativen treiben? Wie oft passiert es bei Ihnen, dass die Personalabteilung erst von einer Weiterbildung erfährt, wenn diese schon stattgefunden hat? In wie vielen Unternehmen hat die Weiterbildungsfunktion eher den Ruf einer Verwaltung als den einer modernen, innovativen Lerngestalterin? Fragen freilich, die sich auch Betriebsräte ehrlich stellen sollten. Welche Rolle hat das Gremium jenseits der Einforderung und Durchsprache von Weiterbildungsmaßnahmen?


Kurzversion:
Betriebsrat und Personalabteilungen können Innovationen in Unternehmen fördern, indem Sie gemeinsam daran arbeiten die nötigen Strukturen und Freiräume im Betrieb zu schaffen. Dazu gehört auch der Aufbau methodischer und vieler sozialer Kompetenzen bei den Mitarbeitenden. Daneben können beide auch dazu beitragen, Weiterbildung an sich zu innovieren. Das funktioniert beispielsweise, in dem stärker auf selbstorganisiertes/-gesteuertes Lernen gesetzt wird, Lerngruppen gebildet und digitale Lernformate proaktiv angegangen werden. Nötige Kompetenzen, die Personaler:innen sowie Betriebsrätinnen und Betriebsräte erwerben sollten, sind die Kenntnisse in Innovationsmethoden, Kundenorientierung, „Sensing“ (d. h. Trendscouting) und Delegation – oder besser: Loslassen.


Innovationstreiber wovon?

Die interessante Frage ist ja nun, welche Innovationen sollen den getrieben werden? Sind es Innovationen im eigenen Bereich, in der Weiterbildung oder geht es um Innovationen im und für das Unternehmen? Bestimmt fragt sich die eine oder der andere jetzt auch: Können Personalabteilung und Betriebsrat überhaupt Innovationen hervorbringen? Das ist doch was für die Technik, für die Forschung und Vorausentwicklung?

Der Blick in den Duden verrät uns: Innovation kommt von lateinisch innovatio = Erneuerung, Veränderung. In diesem Sinne gelesen, ist es aus meiner Sicht sogar eine Kernaufgabe der Weiterbildung und der Betriebsräte Erneuerung und Veränderung herbeizuführen und zu begleiten. Erneuerung – das weckt in mir den Gedanken an Schlangen. Sie haben richtig gelesen: Schlangen. Schlangen häuten sich regelmäßig. Sie erneuern ihre Haut. Auch, weil ihnen die „alte“ zu klein geworden ist. So ist es doch auch im Unternehmen. Es wächst, mindestens aber verändert es sich in seiner Struktur, seinen Angeboten, seinen Mitarbeitenden. Das bringt der Lauf der Zeit mit sich. Schon in einem anderen Blog haben wir festgestellt „Panta rhei“ – alles fließt. Nichts ist beständiger als der Wandel.

Wenn also der Wandel, die Veränderung, die einzige Konstante in unserer Zeit bleibt, dann können und müssen Personalabteilungen und Betriebsräte sich sogar als Innovationstreiber verstehen. In beiden Bereichen; in ihrer eigenen Arbeit und im Unternehmen als Ganzes. Schauen wir uns das einmal genauer an.

Innovationstreiber für das Unternehmen

Fakt ist, die dynamische Entwicklung vieler Märkte macht es für immer mehr Unternehmen notwendig, die eigenen Produkte, Prozesse oder sogar Geschäftsmodelle zu erneuern, zu innovieren also. Innovationen entstehen aber nicht von alleine. Sie erfordern die passenden Fähigkeiten und Kompetenzen (und Freiräume!) – auf Ebene des Unternehmens wie auf Ebene der Mitarbeitenden. In dem Moment, in dem wir von Fähigkeiten sprechen, wird klar: Hier spielt auch die Weiterbildung eine Rolle.

Unternehmensebene

Was die organisationale Ebene betrifft, kommen mir das Modell der Lernenden Organisation (Argyris & Schön) sowie die „Dynamic Capabilites“ (Teece) in den Sinn. Diese dynamischen Kompetenzen werden beschrieben als Kompetenzen höherer Ordnung. Kompetenzen, die andere Kompetenzen beeinflussen. Worum es aber eigentlich geht ist folgendes: Sie ermöglichen und bewirken die Veränderung und Anpassung einer Organisation an eine (sich verändernde) Umwelt. Mit anderen Worten: Innovation. Nun unterscheidet Teece drei Bereiche dieser dynamischen Kompetenzen:

  • Wahrnehmung: Wie und woher nimmt das Unternehmen neue Impulse auf (Kunden, Studien, Mitarbeitende,…)
  • Verwertung: Wie werden solche Impulse im Unternehmen weiter verarbeitet? Finden Sie sich im Geschäftsmodell wieder? Wie läuft die Entscheidungsfindung? Was tut das Unternehmen selbst, wo sucht es Partner?
  • Rekonfiguration: Wie strukturiert sich das Unternehmen, um Impulse optimal aufzunehmen und zu verwerten? Hier ist die Idee, eher dezentralisiert und ko-spezialisiert zu arbeiten und entsprechende Wissens- und Steuerungssysteme aufzubauen.

Strukturen gestalten

Zweifelsohne sehen wir darin viele Aufgaben des Personalwesens und des Betriebsrats. Sie können also Innovationstreiber für das Unternehmen sein. Insbesondere, indem Sie an der Einführung und Umsetzung konkreter Strukturen und Methoden mitarbeiten bzw. diese sogar anstoßen. Zu denken ist dabei beispielsweise an die Definition eines Innovations- und Entscheidungsprozesses, der typische Denkfallen umgeht. Gleichfalls ist es wichtig, Experimentierräume (tatsächliche Orte aber auch Zeiten) einzurichten, in denen Mitarbeitende (mit Kunden, Forschenden, …) zusammen an neuen Ideen tüfteln können.

Neue Methoden einsetzen

Idealerweise kombiniert man das mit dem Aufbau von Methodenkenntnissen, beispielsweise im Design Thinking, User Experience Design, Lean Startup, um nur einige zu nennen. Diese Formen der Arbeit und Zusammenarbeit im Unternehmen einzuführen, zu verbreiten und dafür zu qualifizieren kann und sollte eine der Kernaufgaben zukunftsorientierter Weiterbildung sein.

Gerade der Betriebsrat sollte sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Die neue Art der Zusammenarbeit bringt eigene Anforderungen, Chancen und Risiken mit sich. Betriebsräte sind hier in der Verantwortung, die Zukunft der Arbeit aktiv mitzugestalten. Mit der Nähe zu den Beschäftigten und dem Wissen um die Arbeitsumgebung und -bedingungen sorgen sie dafür, dass neue Ansätze an bestehendes anknüpfen. Sie ermöglichen, dass neues Arbeiten und Lernen die Kompetenzen und die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen erhalten. Schließlich setzen sie den Rahmen dafür, dass diese neue Arbeit die (physische und psychische) Gesundheit der Leute erhält, wenn nicht sogar fördert.

Mitarbeitenden-Ebene

Damit sind wir bei den Beschäftigten angelangt, die die geschaffenen Strukturen ausfüllen und die Methoden anwenden können müssen. Ziel ist hier zum einen, die Kreativität der Beschäftigten hervorzubringen und soweit als möglich zu fördern. Da Innovation aber ausdrücklich nicht mit der Idee endet, sondern deren Umsetzung erfordert, gehört noch deutlich mehr dazu. Innovatoren und Innovationstreiber müssen mit anderen zusammenarbeiten können (Teamfähigkeit). Das heißt, sie müssen auch Kommunikations- und Konfliktkompetenz mitbringen. Es gilt Projekte eigeninitiativ voranzutreiben und mögliche Probleme selbstgesteuert zu lösen. An dieser Stelle fallen drei Dinge auf.

  • Erstens sprechen wir auf einmal nicht mehr von einer abstrakten Innovationskompetenz, sondern von ganz konkreten Fähigkeiten (für die es auch weitere Definitionen und Aufgliederungen gibt).
  • Zweitens gibt es eine erstaunlich große Deckung dieser Kompetenzen mit denen, die in der Future Skills Studie für Baden-Württemberg als überfachliche Zukunftskompetenzen identifiziert wurden.
  • Drittens ist der Aufbau dieser Fähigkeiten wieder eine originäre Aufgabe der Weiterbildungsfunktion im Unternehmen. Bekanntermaßen hat dabei auch der Betriebsrat ein Wörtchen mitzureden.

Verfolgen also beide Betriebsparteien gemeinsam das Ziel, diese Kompetenzen und Fähigkeiten auf Unternehmens- und auf Mitarbeitenden-Ebene aufzubauen, werden sie in der Tat zu Innovationstreibern. Dabei geht es vor allem darum, den Rahmen für Innovation zu schaffen, der Aufbau technischer Kompetenzen ist dafür nicht zwingend nötig.

Die Rolle des Betriebsrates

Der Betriebsrat kann hier auch die Rolle eines Multiplikators einnehmen. In vielen Unternehmen hat seine Stimme bei den Beschäftigten viel Gewicht. Höre ich von meiner Ansprechperson dort, dass sich die Auseinandersetzung mit den neuen Themen und Methoden lohnt, bin ich vielleicht eher bereit, eben das auch zu tun. Der Betriebsrat kann zudem sein Vorschlagsrecht nutzen und darauf hinwirken, dass Trainings für den Aufbau der nötigen Kompetenzen und Methodenkenntnisse stattfinden.

Innovationstreiber für die Weiterbildung

Können Personalabteilung und Betriebsrat in der Weiterbildung selbst Innovationstreiber sein? Die Antwort lautet ganz klar „Ja“! Es ist sogar notwendig, an innovativer Weiterbildung (wie z. B. im Rahmen des Projektes Weiterbildung für Industrie 4.0) zu arbeiten. Dafür brauchen auch sie das methodische Handwerkszeug sowie die fachliche Kompetenz im Bereich Lernen und Entwicklung.

Viele der „Innovations-Kompetenzen“ lernt man am besten durch eigene Erfahrungen. Das gilt vor allem dann, wenn man über diese Erfahrungen auch reflektiert. Das geben klassische Schulungen nur begrenzt her. Außerdem beobachten wir allgemein eine Entwicklung weg vom formalisierten, strukturierten Vermitteln von Wissen hin zum aktiven, selbstgesteuerten Erwerb von Handlungsfähigkeiten. Das kommt den Bedarfen eines innovativen Unternehmens entgegen.

Es obliegt den Personalabteilungen, eine moderne, kompetenzorientierte Weiterbildung „just-in-time“ zu entwickeln und einzuführen. Der Betriebsrat (und Fachabteilungen!) sollten hierbei nicht nur pflichtschuldig angehört, sondern aktiv einbezogen werden. Beide sind sehr nah an den Beschäftigten und bekommt so auch die eine oder andere Information, die der Personalabteilung verwehrt bleibt. In der Zusammenarbeit können neue, sprich innovative, Weiterbildungsangebote gebaut werden. Angebote, die die benötigten Fähigkeiten effektiv vermitteln und optimal auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden zugeschnitten sind.

Wie sieht innovative Weiterbildung aus?

Welche konkreten (innovativen) Weiterbildungsideen gibt es also? Der Betriebswirtschaftler in mir will jetzt antworten: Das kommt darauf an. Welche Angebote gibt es bisher? Wie werden sie angenommen? Was soll erreicht werden? Wer ist die Zielgruppe? Das sind nun mal Einflussfaktoren. Nichtsdestotrotz seien hier ein paar Formate erwähnt, die Potenzial haben, an bisherige Angebote anzuknüpfen und selbstgesteuertes Lernen und Innovativität zu fördern:

  • Lerngruppen mit festen Formaten (z. B. Working Out Loud, lernOS) fördern die Bildung von Netzwerken, die Selbstorganisation und ermöglichen die Beschäftigung mit einem individuell gewählten (fachlichen) Thema.
  • Arbeits- und Lernprojekte machen Aufgaben und Stellenprofile greifbar und vermittelbar. Die Lernenden bekommen einen Leitfaden. Anhand dieses Leitfadens bearbeiten sie ihre Aufgabe selbständig. Hier wird fachliche Kompetenz gemeinsam mit sozialen Kompetenzen, Organisations- und Problemlösefähigkeit gefördert.
  • Digitale Lernangebote können ein Weg sein, vielfältige Inhalte verfügbar zu machen. Im Sinne eines Performance Supports können Beschäftigte bedarfsgerecht, (kleine) Weiterbildungsmodule nutzen – genau in dem Moment, in dem sie es brauchen. Die Personalabteilung kuratiert entsprechende Inhalte und erstellt Lernpfade. Wir haben schon vor einiger Zeit eine Übersicht kostenloser Angebote zusammengestellt.
  • Lernbegleiter:innen unterstützen die Beschäftigten auf ihrem Weg in und durch das stärker selbstgesteuerte Lernen. Für viele ist das nämlich noch ungewohnt. Die Lernbegleiter:innen entlasten Führungskräfte und Personalabteilung. Gleichzeitig regen sie zum Weiterlernen an und helfen Kreativität und Neugier in der Organisation zu entfalten.

Letztlich ist das nur ein kleiner Auszug aller Möglichkeiten. Aber deutlich wird doch: Das Lernen und die Weiterbildung wird individueller, eigenständiger aber auch sozialer (s. dazu unser Barcamp Gemeinsam Lernen – Leichter zum Erfolg! am 23.02.22). Personalabteilung und Betriebsrat stehen in der Verantwortung als Innovationstreiber den Rahmen für dieses freiere, selbstgesteuerte Lernen zu schaffen.

Kompetenzen für Innovationstreiber

Schauen wir uns zum Abschluss noch in aller Kürze an, welche Kompetenzen Personalabteilungen und Betriebsräte selbst brauchen, die als Innovationstreiber handeln (wollen).

  1. Methodenkompetenz: Es ist notwendig, dass Personaler:innen sowie Betriebsratsmitglieder einerseits Methoden der Innovationsförderung und Kreativitätstechniken kennen und anwenden können. Andererseits müssen sie genauso fit in den aktuellen Methoden und Theorien der Personalentwicklung und Erwachsenenbildung sein.
  2. Kundenorientierung: Tatsächlich kommen wir doch immer mehr zum Schluss, dass auch Mitarbeitende Kunden sein können. Kunden der Personalentwicklung, in diesem Falle. Sie nutzen die „Produkte“ der Weiterbildung. So wie es sich in der Produktentwicklung immer mehr verbreitet, Kundinnen frühzeitig einzubinden, empfehle ich das auch für die Entwicklung von Lernangeboten. So wird die optimale Passung für die Beschäftigten ermöglicht.
  3. „Sensing“: Im Gedanken der dynamischen Kompetenzen sollten Personalabteilung und Betriebsrat in der Lage sein, Trends und Entwicklungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens zu beobachten, zu verstehen und einzuschätzen. Das ist natürlich untrennbar damit verbunden, dass diese Entwicklungen bei Bedarf auch in Lernangebote übersetzt werden sollten.
  4. Delegation: Klingt komisch? Ist auch ungewohnt! Letztlich gilt es doch aber anzuerkennen, dass ganz viel Weiterbildung informell stattfindet. An der Personalabteilung vorbei, sozusagen. Vielleicht ist auch „Loslassen“ hier der passendere Begriff? Lernen und Entwicklung bis ins kleinste zu bestimmen und zu „controllen“ ist ein Vorhaben, das unglaublich viel Energie braucht. Lohnt sich das? Sollte es nicht mehr darum gehen, Fachbereiche zu „gutem Lernen“ zu befähigen und die Strukturen dafür zu schaffen?

Was bleibt

Innovation ist die harte Währung der Wissensgesellschaft. Es ist Zeit, dieser Währung den Wert zuzuweisen, der ihr zusteht.

Wolf Lotter, brandeins

Geben Sie der Innovation als Personaler:innen, als Betriebsrätinnen und Betriebsräte den Stellenwert, den sie verdient. Werden Sie Innovationstreiber. Mit Ihnen als aktive Gestalter von Weiterbildung und Unternehmenskultur hat das Unternehmen eine unschätzbare Ressource in der Welt des ständigen Wandels. Wenn das gelingt, heißt es vielleicht schon bald: Innovation? Da ist doch unser Bildungsbereich so stark?!