14. Oktober 2019  |  
Hans Hooss

Weiterbildung als Verhalten fördern

Es ist einfach schwierig.

Die Frage, wie wirksame Weiterbildung gestaltet werden muss, ist einfach schwierig zu beantworten.

Natürlich gibt es Beispiele guter Praxis. Es gibt alte und neue Leitideen für die Gestaltung von Weiterbildung. Und doch stellt man immer wieder fest: Ein anderswo erfolgreiches Format einfach zu kopieren funktioniert oft gar nicht. Warum ist das so? Und warum tun sich manche Betriebe scheinbar so leicht bei der Weiterbildung, während andere vor großen Herausforderungen stehen?

Vielleicht ist „42“ auch hier die Lösung. Schließlich ist das bekannterweise die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest.

Na gut – Spaß beiseite.

Weiterbildung ist ein Verhalten

Weiterbildung ist kein abstraktes Konzept, sondern ein ganz konkretes Verhalten. Was soll das heißen?

Zunächst einmal muss das Unternehmen Weiterbildungsangebote machen. Führungskräfte müssen Mitarbeitenden die Zeit für Weiterbildung geben. Und die Beschäftigten selbst müssen die Angebote annehmen und aktiv lernen. Unabhängig davon, ob sie das im Seminar oder am Arbeitsplatz tun. Im Idealfall suchen sie auch selbstbestimmt und selbstorganisiert nach Lernchancen. Das alles ist „Tun“, ist Handeln. Verhalten.

Damit Mitarbeitende dieses Verhalten zeigen, muss also einiges zusammenkommen.

Und schon sind wir mittendrin in der Organisationspsychologie. Der bekannte Forscher Lutz von Rosenstiel hat hierzu nämlich ein Modell erarbeitet. Er sagt, das Verhalten in einer Organisation hängt von vier Elementen ab:

  1. Wollen.
  2. Können.
  3. Soziales Dürfen (und Sollen).
  4. Situative Ermöglichung.

Verhaltensmodell nach Rosenstiel

Aha.

Also, schauen wir uns das mal an. Eines nach dem anderen und immer mit Blick auf das Weiterbildungsverhalten.

Weiterbildung muss man wollen

Logisch, oder? Tatsächlich ist das sehr wichtig! Bedenken Sie bitte: Wer keine Lust auf Weiterbildung hat, der wird auch an keiner Weiterbildung teilnehmen. Oder aber: Ich gehe nur zum Seminar, „weil ich halt muss“. Dann nehme ich daraus wenig bis gar nichts mit. Aktiv  und mit (Lern-)Erfolg nimmt an einer Weiterbildung nur teil, wer wirklich Lust darauf hat. Oder sagen wir: Wer zumindest den Mehrwert für sich und die eigene Arbeit erkennt.

Weiterbildung muss man können

Wie bitte? in der Weiterbildung soll man doch erstmal was lernen! Was muss man dafür dann können? Obwohl es seltsam klingt, liegt hier vielleicht einer der Knackpunkte auf dem Weg zu erfolgreicher Weiterbildung. Mitarbeitende brauchen die Fähigkeit zu lernen. Das gilt doppelt, wenn jemand selbstorganisiert lernt. Das mag bei Akademikern noch recht unproblematisch sein. Auch der Techniker oder der Meister ist oft fit im Lernen. Was ist aber mit den Facharbeitern oder den Un- und Angelernten im Betrieb. Die letzte Lernerfahrung ist vielleicht schon ewig her. Auf jeden Fall waren viele einfach nur froh, als die Lernerei endlich ein Ende hatte. Und jetzt arbeitet man halt. Wie man aber effizient lernt, dafür haben die wenigsten Menschen (bewusste) Strategien. Und das gilt übrigens auch für Akademiker. Weiterbildung muss man also tatsächlich können.

(Das – nur nebenbei – gilt natürlich auch für das Weiterbildungspersonal. Veranstaltungen müssen didaktisch angemessen gestaltet sein, um das Lernen zu fördern und zu erleichtern.)

Weiterbildung muss man dürfen

Wenn man sich im Moment umschaut und umhört, könnte man denken die Ampeln stehen auf Grün für Weiterbildung jeder Art. Die Bundesregierung hat erst das Qualifizierungschancengesetz verabschiedet, dann die Nationale Weiterbildungsstrategie. Die IG Metall fordert schon lange, dass Weiterbildung verstärkt werden muss. Sie fordert sogar, das Recht auf Weiterbildung. Auch Südwestmetall betrachtet Weiterbildung als wichtige Einflussgröße auf die Innovationsfähigkeit der baden-württembergischen Wirtschaft. Soweit so gut. Dieses „soziale Dürfen“ bezieht sich nämlich auf Regeln und Normen, auf Werte und Einstellung, die in unserer Umgebung vorherrschen. Ganz vereinfacht gesagt also das, was momentan so für wichtig und richtig erachtet wird. Weiterbildung zum Beispiel.

Wie aber ist die Lage in den Betrieben? Oft heißt es auch dort, dass Personalentwicklung sehr wichtig ist und Weiterbildung gefördert wird. Oft zeigt dann der zweite Blick: Wer zur Weiterbildung geht, muss sich von den Kolleginnen und Kollegen einiges anhören. Man ist der Besserwisser. Man ist die, die andere als unwillig dastehen lässt. Oder man kommt mit irgendwelchen komischen neuen Ideen zurück und will alles über den Haufen werfen. Oder die Vorgesetzten fürchten Konkurrenz. Wenn sie nicht schon vorher die Teilnahme verweigert haben. Beliebte Argumente: „Das bringt dir doch nichts.“ – „Zwei Tage? Und wer soll solange deine Arbeit machen?“.

Merken Sie was? Wer sich so etwas gegenübersieht – auch wenn es nicht ausgesprochen wird – überlegt sich zweimal, ob sich die Weiterbildung jetzt wirklich lohnt.

Weiterbildung muss in der Situation möglich sein

Und schließlich ist da noch die Frage: Habe ich überhaupt die Möglichkeit zur Weiterbildung? Was im Unternehmen ist eine Hürde? Was fördert die Weiterbildungsteilnahme? Habe ich zum Beispiel Zugriff auf ein firmeneigenes Weiterbildungsangebot? Kann ich mir Weiterbildungen finanziell leisten beziehungsweise in welchem Umfang finanziert mein Betrieb Weiterbildungen? Ist mein Betrieb so ländlich gelegen, dass jede Reise zu einer Konferenz oder einem Seminar Luxus ist, weil die Reisekosten explodieren? Kann ich an einer Weiterbildung gar nicht teilnehmen, weil meine Arbeitslast so hoch ist oder weil ich mich um zwei kleine Kinder kümmern muss – vielleicht sogar als Alleinerziehende/r?

Was heißt das jetzt in kurz?

Das Modell von Rosenstiel macht uns einiges klar:

  • Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Weiterbildung liegen sowohl in der Person als auch in ihrer Umgebung (d. h. im Betrieb, den Vorgesetzten,…).
  • Erfolgreiche Qualifizierung erfordert weit mehr als nur gute Veranstaltungen mit guten Dozenten anzubieten.
  • Alle vier Bedingungen (Wollen, Können, Dürfen, Situative Ermöglichung) müssen für reibungslose Weiterbildung gegeben sein.
    • Der Wille eine Weiterbildung zu machen genügt nicht. Wenn die Person sie nicht machen darf, nicht dazu in der Lage ist (z. B. fehlende Voraussetzungen) oder zeitlich nicht dazu kommt, wird gar kein Effekt oder kein nachhaltiger Effekt erzielt werden.
    • Hingegen ist es genauso unwahrscheinlich, dass jemand wirklich etwas lernt, wenn er zwar auf Weiterbildungen darf, aber eigentlich gar nicht will.
    • Und was passiert wohl, wenn jemand befürchtet nach der Weiterbildung von Kolleginnen und Kollegen ausgegrenzt zu werden? Selbst wenn die Person motiviert ist und auch zur Weiterbildung darf und fähig dazu ist: wird sie sich wirklich dazu durchringen?
  • Als Betrieb müssen wir die notwendigen Rahmenbedingungen für erfolgreiche Weiterbildung schaffen

Anders ausgedrückt: Die Personalabteilung hat gemeinsam mit dem Betriebsrat die Aufgabe, Weiterbildungsmaßnahmen genauso wie Rahmenbedingungen aktiv zu gestalten.

Was können wir im Betrieb tun, um Weiterbildung ganzheitlich zu fördern?

  1. Arbeiten Sie mit der Geschäftsführung daran, dass Weiterbildung von der lästigen Nebensache zur positiven Entwicklungschance wird. Für Beschäftigte und Betrieb. Nur dann werden die Mitarbeitenden sich guten Gewissens die nötige Zeit dafür nehmen (können).
  2. Gehen Sie auf die Führungskräfte zu und erläutern Sie mit Ihnen die Bedeutung betrieblicher Weiterbildung.
  3. Bauen Sie zunächst demotivierende Rahmenbedingungen ab (Zeitdruck, Ablehnung durch Vorgesetzte und in der Kollegenschaft, Ängste,…) bevor Sie Mitarbeitende aktiv zur Weiterbildung motivieren.
  4. Schaffen Sie Strukturen, die das Lernen fördern. Nutzen Sie dafür zum Beispiel das Qualifizierungsgespräch gemäß TV-Quali und stellen Sie klare Leitlinien auf. Beides schafft Verbindlichkeit und fördert so aktive Weiterbildung.
  5. Schaffen Sie Räume und Gelegenheiten im Betrieb, die zum Lernen einladen. Denken Sie an Lerninseln, Lernmaterialien, Lernsysteme,…
  6. Gestalten Sie Arbeitsprozesse und Arbeitsplätze nicht nur unter wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkten. Überlegen Sie auch, wie ein lernförderlicher Arbeitsplatz aussehen sollte.
  7. Kommunizieren Sie Ihr Weiterbildungsangebot breit und transparent. Nur wer Bescheid weiß, kann aktiv werden.
  8. Gehen Sie individuell auf Beschäftigte ein. Wer bisher wenig gelernt hat, braucht zunächst noch Unterstützung dabei, das Lernen wieder zu lernen.
  9. Bieten Sie Ihren Beschäftigten eine aktive Begleitung im Lernprozess an – beispielsweise mit eigenen Lernberaterinnen und Beratern.
  10. Fördern Sie weiterbildungsinteressierte Mitarbeitende finanziell und/oder mit zeitlichen Arrangements. Es gibt unzählige Fördermöglichkeiten, die dafür in Frage kommen. Und denken Sie daran: Weiterbildung ist eine Investition!

Mehr Tipps gefällig…? Coming soon!

Noch viel mehr und noch konkretere Tipps und Handlungshilfen finden Sie bald auch online. Und zwar im Ideenportal Qualifizierung der AgenturQ. Themen sind dort unter anderem:

  • Wie können wir die individuelle Situation und individuelle Bedürfnisse (Wollen!) der Mitarbeitenden berücksichtigen?
  • Wie bauen wir bei den Beschäftigten die Selbstlernkompetenz (Können!) auf und aus?
  • Wie bringen wir unseren Führungskräften die Bedeutung von Weiterbildung näher und machen ihnen klar, dass Sie Beschäftigten dafür Zeit einräumen sollten (Dürfen!)?
  • Wie schaffen wir als Organisation Zeiten und Räume, in denen Mitarbeitende lernen können (Situative Ermöglichung!)?

Bleiben Sie neugierig – Sie wissen ja: Die Zukunft beginnt mit Qualifizieren.

Titelbild: OpenClipart-Vectors; Pixabay Lizenz.